#019 Deathstars-Interview: Whiplasher Bernadotte über Death Glam und „Night Electric Night“

November 2008: Deathstars sind irgendwie anders: Sie sehen aus wie Glam-Rock-Diven mit dissozialer Persönlichkeitsstörung, bezeichnen sich selbst als die „Backstreet Boys from Hell“ und fabrizieren einen pumpenden Dark Rock, der direkt in die Lenden wandert. Mit dem Nachfolger ihres Zweitwerks „Termination Bliss“ ließen sich die Schweden Zeit, doch nun ist es da, „Night Electric Night“, und zeigt Whiplasher Bernadotte, Nightmare Industries, Bone W. Machine, Skinny Disco und Cat Casino in Bestform: Elf tonnenschwere Rock-Bonbons zwischen Porno-Disco und Weltschmerz-Vibe liefern die Jungs hier ab und beweisen damit, dass sich nur eine einzige Band der Welt den „Death Glam“ auf die schwarzen Fahnen schreiben darf. Auf seiner Promobutterfahrt durch Deutschland griff Andreas „Whiplasher Bernadotte“ Bergh zum Hörer, stand (an einem Samstagmittag!) Rede und Antwort und würzte das Gespräch mit etwas „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“.

„Wir sind mit der Mentalität aufgewachsen, dass man entweder straighten Metal spielt oder sich verpissen kann.“
Whiplasher Bernadotte
2008
„Wir sind mit der Mentalität aufgewachsen, dass man entweder straighten Metal spielt oder sich verpissen kann.“
Whiplasher Bernadotte
2008

Deathstars: Interview mit Andreas Bergh alias Whiplasher Bernadotte

Whiplasher, warum um alles in der Welt arbeitest du an einem Samstag?
Frag das Plattenlabel – das sind Sklaventreiber! Ich muss jeden Tag in der Woche arbeiten!

Macht es denn wenigstens Spaß, das neue Album „Night Electric Night“ zu promoten, oder ist das eine lästig Pflichtaufgabe für dich?
Das ist schon eher eine Belohnung für die harte Arbeit, die wir geleistet haben. An manchen Tagen, die mit Interviews und Hin- und Herfahren schon mal 18 Stunden dauern können, macht vielleicht nicht unbedingt jede einzelne Minute Spaß.

Dann lass uns doch über euer neues Album sprechen, auf das die Welt ja lange warten musste…
Ich glaube, es waren über drei Jahre! Der Grund, warum das alles so lange gedauert hat, war, dass wir unheimlich viel getourt sind. Wir hatten etwa 200 Gigs pro Jahr. Außerdem sind ein paar tragische persönliche Dinge passiert, und obendrein habe ich nach unserem letzten Album, „Termination Bliss“, auch noch in London gewohnt, während die anderen Jungs in verschiedenen Städten in Schweden lebten. Alle diese Elemente summierten sich dazu, dass sich das mit dem neuen Album so lange hingezogen hat. Der eigentliche Songwriting-Prozess verlief allerdings so reibungslos wie nie zuvor, weil alles viel leidenschaftlicher war dieses Mal. Wir hatten das Gefühl, dass die Leute kapiert haben, was wir bei „Termination Bliss“ gemacht haben, und daher brannten wir darauf, nun mit „Night Electric Night“ den nächsten Schritt zu gehen. Daher verliefen das Schreiben der Songs und die Aufnahmen im Studio total geschmeidig.

Lebst du jetzt eigentlich noch in London?
Nein, ich bin wieder zurück nach Schweden gezogen. Nightmare auch, wir sind also alle wieder vereint. Das ist ein gutes Gefühl. Allerdings wird er wahrscheinlich bald wieder nach New York ziehen, und ich für mein Teil möchte nach Berlin, London oder Moskau gehen – weil ich einfach so ein rastloser Typ bin. Diese Band besteht nur aus Chaos. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass alles so durcheinander ist bei uns. Vielleicht funktioniert es ja deswegen so gut (*lacht*).

Woher kommt dieses Rastlose, dieser Drang immer in Bewegung zu bleiben?
Keine Ahnung – wenn ich das wüsste! Ich werde einfach schnell unruhig und will eben eine Menge Dinge machen. Ich kann nicht einfach nur an einem Ort hocken, das ist unmöglich, denn dann fühle ich mich scheiße. Ich möchte im Prinzip zu jeder Zeit überall sein.

Whiplasher Bernadotte über das Sex-Image der Band

Zurück zum Album: Würdest du sagen, dass ihr mit „Night Electric Night“ jetzt euren Stil gefunden und euch damit in der Szene etabliert habt?
Ich denke schon. Allerdings sind Deathstars auch eine völlig missverstandene Band: Auf der einen Seite gibt es diese wirklich düsteren, ernsthaften Songs, auf der anderen sind wir aber auch eine Glam-Rock-Band. Da wir aus der Black- und Death-Metal-Szene kommen, haben die Leute anfangs gedacht, dass sich bei uns alles nur um Tod drehen würde und wir uns selbst als reine Metal-Band sehen. So ist es aber nicht! Wenn wir eine Metal-Band wären, dann wären wir eine absolut lausige Metal-Band! Wir sind eher eine dunkle Rock-Band, die die Einflüsse aus der eigenen Vergangenheit mit Pop, Rock und Bands wie den Sisters of Mercy zu einem besonderen Gemisch kombiniert. Ich glaube aber, dass die Leute das auf „Termination Bliss“ total verstanden haben, und wir haben diese Idee auf dem neuen Album nun noch weitergeführt. Und jetzt wird es richtig aufregend – ich glaube, es werden sich noch mehr Ladies die Kleider vom Leib reißen! Wir sagen immer, dass wir mit unserer Band wie die „Backstreet Boys from Hell“ sind. Jede hat ihren eigenen Favoriten, ich bin dann wahrscheinlich wie Nick Carter. Nur aus der Hölle eben (*lacht*).

Was dieses Sex-Image anbelangt, seid ihr doch aber sehr stilisiert und kommt fast schon androgyn rüber. Also ich sehe euch nicht als testosteronschwangere Deckhengste…
Nein, nein, das Ding ist doch, dass wir nie versucht haben, so ein Image zu kreieren. Aus der extremeren Metal-Szene kommend, gab es bei uns immer nur Shows, wo das Publikum aussah wie die Hell’s Angels, so Typen mit Kutten und Metallica-Aufnähern. Damit sind wir aufgewachsen. Dann haben wir mit Deathstars angefangen und nach ein paar Shows gemerkt: ‚Alter, zu uns kommen ziemlich viele Mädels!’ (*lacht*) Inzwischen haben wir uns zu einer Band entwickelt, für die es selbstverständlich ist, dass sie eine große weibliche Fanbase hat. Es war aber nie von uns beabsichtigt, so ein Image zu bekommen. Ich meine, guck dir doch nur mal Cat Casino an – der ist nicht der maskulinste Typ der Welt, sondern eher wie ein Mädchen. Aber die Mädchen mögen das, sie wollen ihn beschützen. Übrigens denkt er von sich, dass er der hübscheste Typ auf der ganzen Welt ist: Das Erste, was er macht, wenn wir einen Tourbus beziehen, ist Folgendes: Er hat so einen Ordner mit Bildern von sich, die er von seinen weiblichen Fans oder woher auch immer bekommt. Und diese Bilder klebt er dann überall in seiner Koje an, damit er einfach daliegen und auf sich selbst masturbieren kann. Es ist immer das Gleiche mit ihm! Er geht damit aber auch sehr offen um und gibt zu, dass er keinen Orgasmus haben kann, ohne sich selbst dabei zu sehen. Und sein Make-up, Mann! Es dauert mindestens eine Stunde, bevor er auch nur den Tourbus verlässt! Du siehst also – nicht jeder in unserer Band ist wirklich maskulin.

Generell ist Image aber schon ein wichtiges Thema bei den Deathstars, oder?
Schon, aber da muss man differenzieren: Unsere visuelle Seite zelebriert einfach unsere Liebe für Bands wie KISS und was wir sonst noch so in den 80ern gehört haben, mit dem ganzen Glitter und so. Wenn es aber um die Inhalte der Musik geht, handelt das schon alles von unserem normalen Leben, wir haben keine besondere Ideologie, hinter der wir uns verstecken. Ich denke, dass viele Bands, die kein Make-up tragen, viel mehr auf Image bedacht sind als wir – die singen dann über Satan oder Wikinger oder so etwas. Wir hingegen singen über unser Leben. Als Rockband dreht es sich bei uns aber auch um Party. Es gibt diese zwei Seiten unserer Band: Wenn wir die Songs schreiben und im Studio sind, ist der Prozess sehr fokussiert und ernsthaft. Wenn wir aber auf Tour gehen, lassen wir so richtig die Sau raus und leben das Leben in vollen Zügen – alles inklusive.

Aber tragt ihr diese Tonnen von Make-up nicht auch, um damit in eine Bühnen-Persona zu schlüpfen?
Nein, ich denke nicht, obwohl es sich natürlich schon ein bisschen so anfühlt. Es ist aber kein anderer Charakter, in den wir dann schlüpfen. Es wäre tatsächlich mal interessant, Shows ohne das Make-up zu spielen und zu gucken, wie sich das anfühlt. Haben wir aber auch schon gemacht, insofern verstecken wir uns tatsächlich nicht hinter dem Make-up, wir tragen das ja auch nicht bei jedem Fotoshoot oder jedem Interviewtermin. Es ist einfach eine Art Accessoire der Band.

Nicht so wie bei Slipknot also.
Ganz genau. Wir sind keine Sklaven unter der Maske, die versuchen so etwas wie KISS zu sein. Bei uns ist es eher eine Erweiterung der Musik, unser visueller Part.

Deathstars: Gibt es eine Verbindung zu den Sisters of Mercy?

Du hast in einem Interview zu „Termination Bliss“ gesagt, dass euer erstes Album die Eier und das zweite das Ding war. Das dritte sollte dann der richtige Sex sein…
Manchmal bin ich echt brillant, muss ich sagen! Das erste die Eier, das zweite das Ding und das dritte der richtige Sex, genau! Jetzt, da das dritte Album im Kasten ist, glaube ich aber, dass es eher der Oralsex ist. Das vierte wird dann der richtige Sex, und beim fünften… beim fünften werden wir uns dem Analen widmen (*lacht*).

Klingt nach einem logischen Plan!
Oh ja, Deathstars bewegen sich immer auf diese Weise weiter.

Jetzt gibt’s mit „Night Electric Night“ also doch erst mal nur orales Vorspiel…
Genau, um die Spannung zu halten. Mit jedem Album werden wir die Geschichte dann weiterführen. Am Ende werden sogar deine Eltern mit dabei sein (*lacht*)!

Lass uns vielleicht doch wieder zur Musik zurückkommen. Ich finde, „Night Electric Night“ ist noch druckvoller und groovier als „Termination Bliss“ ausgefallen. War es eure Intention, dieses donnernde, rockende Element in eurer Musik auszubauen?
Nein, wir haben nie Pläne, was die Elemente auf einem neuen Album anbelangt. Wir reden da noch nicht mal drüber. Ich und Nightmare haben unser erstes Album mit 16 aufgenommen und jetzt auch 16 Jahre lang zusammen gespielt, da muss man über so etwas nicht mehr reden, es versteht sich alles von selbst. Er schreibt die Musik, ich den Gesang, die Texte und Arrangements. Ich glaube einfach, dass wir uns jetzt ein wenig freier und sicherer fühlen in Bezug auf die Elemente, die wir benutzen können. Anfangs waren wir sozusagen noch Sklaven des Metals – wir sind mit der Mentalität aufgewachsen, dass man entweder straighten Metal spielt oder sich verpissen kann. Unterschiedliche Elemente zu vermischen, war also anfangs gar nicht so einfach für uns. Dadurch haben wir jetzt aber eine größere Bandbreite auf dem neuen Album, und das macht es viel interessanter und natürlicher. Das und die Tatsache, dass wir so viel getourt sind, hat uns schon sehr beeinflusst, wir haben jetzt einen viel größeren Live-Vibe in unseren Songs. „Night Electric Night“ ist definitiv ein viel aufgeschlosseneres Album als „Termination Bliss“, das für uns etwas persönlicher und düsterer war.

Würdest du sagen, dass ihr die Mission fortsetzt, die die Sisters of Mercy in den 1980ern gestartet haben?
Oh, nein! Ich denke nicht, dass wir so sehr mit ihnen verbunden sind. Höchstens wegen der Vocals, weil wir auch Synthie-Einflüsse haben, dieses dunkle Pop-Element der Sisters. Es wäre aber arrogant von mir, so etwas zu sagen, da ich glaube, dass die Sisters eine der wichtigsten Bands jener Zeit waren. In diesem Musikgenre mit Sicherheit die wichtigste – bei Weitem besser als jede andere Band. Ich würde es also nicht wagen zu behaupten, dass wir in einer Liga mit ihnen spielen. Wir sind in einer anderen Liga.

„The Mark of the Gun“ ist einer der besten Songs eures neuen Albums…
Yeah, das ist definitiv einer der extrovertierteren Songs, er hat einen sehr düsteren Humor und ist sehr destruktiv. Es war interessant, das mit einer Art Party-Move zu kombinieren.

Der Titel erinnert an den großartigen Sisters-Song „Under the Gun“ – eine Reverenz?
Den Song kenne ich natürlich, daran habe ich aber beim Schreiben nicht gedacht. Nightmare hat dann irgendwann gesagt ‚Das ist doch ein Sisters-Song!’, aber ich meinte nur ‚Okay, scheißegal, wir behalten ihn!’ Du kannst es natürlich als Ehrerbietung sehen, aber es gab selbstverständlich keinen derartigen Hintergedanken im Kontext der Lyrics.

Gerade bei diesem Song hört man, dass deine Stimme fast noch druckvoller geworden ist als beim Vorgänger – liegt das an der Produktion oder hast du daran gearbeitet?
Ich glaube, ich mache es heutzutage einfach besser, so einfach ist das.

Deathstars Interview: Bei Rockmusik geht es um nackte Körper!

Ist Rauchen in irgendeiner Weise wichtig für den Klang deiner Stimme?
Nein, im Gegenteil: Ich würde sogar sagen, dass es nicht sehr gut für die Stimme ist. Es ist aber auch nicht so, dass ich jetzt irgendwie Gesangstunden nehmen würde. Ich spiele ja schließlich nicht in einer Boyband. Allerdings…

…hast du ja eben genau das behauptet.
Das stimmt, ich meine aber, dass ich mir einfach keine Gedanken um meine Stimme mache.

Vor einiger Zeit hieß es mal, das Album sollte „Death Glam“ heißen – warum habt ihr euch dann doch für „Night Electric Night“ entschieden?
Ich wollte das Album erst „Death Glam“ nennen, weil im Moment so viele andere Bands auftauchen, die behaupten, sie würden Death Glam spielen. Wir haben uns den Begriff seinerzeit ausgedacht, um unsere Musik zu beschreiben, da niemand wusste, wie man uns einordnen sollte, was für eine Band wir waren. Mit dem Titel wollte ich nur ein Statement abgeben: ‚Death Glam ist unsere Freundin, ihr könnt sie nicht vögeln! Geht woanders hin!’ Allerdings wäre das ziemlich offensichtlich gewesen. „Night Electric Night“ ist ohnehin eine viel bessere Beschreibung des Vibes des Albums.

Ist es eine Art Hommage an die Finsternis, die dunklere Seite des Lebens?
Wir wollten bei diesem Album, dass es sowohl von unseren Leben als auch von den Nächten, dem Stadtleben, den dunklen Aspekten der Spielwiese Großstadt handelt. Es ist ein Album über die Verdorbenheit der City und die moderne Zerstörung, aber auch den harten Vibe von Russland, Osteuropa und Skandinavien. Es ist eine Mixtur aus vielen intensiven Gefühlen. Das wollten wir dabei rüberbringen.

„Via the End“ sticht aus den anderen Songs heraus, weil es so eine morbide, traurige Ballade ist. Habt ihr ihn als emotionale Klimax in die Mitte des Albums gestellt?
Ich und Nightmare haben darüber diskutiert, wohin wir den Song packen sollten, weil er ein für uns sehr ungewöhnlicher Song ist. Die Geschichte hinter ihm ist, dass Nighmares Bruder Jon, der Sänger von Dissection war, Selbstmord begangen hat, wie wahrscheinlich jeder weiß. Als man ihn fand, hat das Nightmare natürlich das Herz gebrochen. Er hat mir erzählt, dass er sich danach ans Piano gesetzt und den Song geschrieben hat und nachher gar nicht mehr wusste, wie das passiert ist, so abgefuckt war er im Kopf. Er hat ihn dann noch einmal überarbeitet und ich habe ein paar Texte dazu geschrieben und ihn akustisch eingesungen. Und er meinte nur ‚Wir müssen diesen Song machen!’, weil er natürlich für ihn sehr wichtig war. „Via the End“ ist eine Art Feier für ihn – und für uns der persönlichste und ernsthafteste Song, den wir je gemacht haben. Sonst tendieren wir ja immer dazu, ein wenig Ironie und einen Hauch schwarzen Humor in unsere Stücke zu integrieren, aber dieser Song ist absolut persönlich und ernsthaft. Den live zu spielen wäre sicher sehr schwierig. Ein sehr wichtiges Stück für Nightmare und natürlich alle von uns, da wir so dicke Freunde sind.

Ist Musik für dich eine Form von Therapie?
Es gibt so viele Bands, die das behaupten, und jedes Mal, wenn ich das lese, finde ich es so was von aufgesetzt! Ich möchte das nicht von mir behaupten. Bei diesem Song war es aber tatsächlich ein Weg für Nightmare, den Tod seines Bruders irgendwie aus seinem Kopf zu bekommen. Natürlich dreht sich Musik um Reflexionen, Emotionen und Gefühle, ich denke aber, dass es anmaßend ist zu behaupten, Musik wäre Therapie für den Musiker. Vielleicht war das so bei Beethoven. Aber wenn es um Rockmusik geht, dann dreht es sich doch letztlich eher um nackte Körper!

Deathstars Interview:
Ben Foitzik
Datum:
23. November 2008
Ort:
Phoner
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2012

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