September 2009: „Geh einfach vor dem Gig zum Merch und frag nach Bidi – dann könnte das mit dem Interview klappen!“, so die Reaktion der betreuenden Agentur auf die Anfrage eines Interviews mit The Devil’s Blood. Also geht Ben vor dem Gig in der Hamburger Markthalle zum Merch und fragt nach Bidi – und dann hat das mit dem Interview tatsächlich geklappt! Mastermind Selim Lemouchi aka S.L. führt in den Backstage-Bereich, richtet Sitzgelegenheiten her und bietet Bier an. Moment mal: Sollte er sich nicht eigentlich gerade mit Schweineblut beschmieren und mit dem Gehörnten Kontakt aufnehmen, so kurz vor der Show? Sorry: So kurz vor dem Ritual – die Wortwahl ist wichtig bei dieser Band. Sorry: Bei diesem Kult! Gar nicht so einfach, diese skurrilen Niederländer, die 2009 mit „The Time Of No Time Evermore“ ein anbetungswürdiges Debüt hingelegt haben. Zur Überraschung ist Selim, der eine Stunde später mit Schweineblut beschmiert und von Satan besessen auf der Bühne stehen wird, ein extrem angenehmer und eloquenter Interviewpartner.
Nachtrag: Mit ein paar Jahren Abstand wirkt dieses Gespräch irgendwie bedrückend, da es eine fatale Unausweichlichkeit zu beinhalten scheint. Ich habe mich dennoch entschlossen, es hier zu veröffentlichen, da es auf eine gewisse Art und Weise auch unglaublich faszinierend ist. Selim war einer der interessantesten, forderndsten und zugleich freundlichsten Interviewpartner, mit denen ich je sprechen durfte.
The Devil's Blood – Interview mit Selim Lemouchi
Hej Selim! Ihr haltet gleich eins eurer Rituale ab – ist es okay, wenn wir jetzt noch ein Interview machen?
Klar, wir haben gerade unseren Soundcheck gemacht, das ist völlig in Ordnung.
Da wir ja hier von The Devil’s Blood reden, dachte ich irgendwie an etwas…
Spirituelles?
Genau.
Nun, das jetzt ist die Zeit vor der Show, in der wir uns wie Idioten aufführen und Spaß haben können – letzten Endes sind wir ja auch nur Menschen. Der Moment der Vorbereitung kommt dann kurz vor der Show. Jeder bei uns hat da sein eigenes Ritual, bei mir ist das so: Wenn der Support anfängt zu spielen, versuche ich, mich von allen anderen zu distanzieren, meine Meditationen zu machen und mich darauf zu konzentrieren, was ich machen werde, was ich ausstrahlen und aus meinem Innersten austreiben will. Das dauert immer ein bisschen, normalerweise eine halbe Stunde, bis ich an diesem Punkt angelangt bin.
Gibt es denn auch wirklich jedes Mal etwas, das du austreiben möchtest, oder ist es manchmal auch schwierig, in die richtige Stimmung zu gelangen?
Manchmal schon, weil jede Situation anders ist und manchmal die Dinge gegen dich arbeiten. Es gibt Tage, an denen du dich mit so profanen Dingen wie dem Venue, dem Schedule, den Umkleiden oder was auch immer herumärgern musst – das kann natürlich die Konzentration immens stören. Bei mir führt das meistens dazu, dass es mich frustriert und wütend macht, was für ein Ritual natürlich noch besser ist: Wenn man nämlich auf die Bühne geht mit diesem starken Gefühl von Hass und Wut auf alles, die Band, die Leute, das Publikum, das Venue selbst, dann kann auch das sehr viel Kraft haben. Wenn alles nach Plan verläuft, kommt es meistens zu einer Interaktion mit dem Publikum und es wird ein wenig fröhlicher. Wenn jedoch ein paar Dinge schiefgegangen sind, wird es etwas grimmiger – um ein dummes Wort zu benutzen.
The Devil's Blood beim Ritual: Magie und Besessenheit
Ihr behauptet, während eures Rituals auf der Bühne von Satan besessen zu sein.
Richtig.
Und danach, sagt ihr, kann jeder wieder in sein normales Leben eintauchen.
Mehr oder weniger, ja.
Besessen sein, nicht besessen sein – wie ist es möglich, so etwas zu planen?
„Normal“ ist natürlich ein ziemlich relativer Begriff. Für mich persönlich bedeutet es, dass ich wieder zu der Person werde, die ich war, bevor ich die Bühne betreten habe – eine Existenz, die natürlich ebenfalls mit Chaos und Ärger angefüllt ist. Was ich mit der Aussage, von Satan besessen zu sein, eigentlich meinte, war, dass du in den 45 oder 90 Minuten, in denen du dein Ritual performst, einfach alles gibst. Du schaust sehr tief in dich selbst, holst alles heraus, was in dir ist, and versuchst, die Verbindung so kraftvoll wie möglich werden zu lassen. Das ist der Moment, in dem man von Satan besessen wird, weil der Geist der Auflehnung, der Opposition und des Antagonismus zum einzigen Fokus deiner Energie wird. Dann können ein paar sehr interessante Dinge in deinem Kopf und auch in der Realität geschehen, weil die Leute darauf reagieren. Die merkwürdigsten Dinge passieren dann – manche Leute verlieren den Verstand und drehen einfach nur durch, andere stehen nur da und lassen sich vollkommen von dem Erlebnis überwältigen. Und danach, wenn man fertig ist, braucht man ein wenig Zeit – ich kann nicht einfach von der Bühne direkt zur Bar gehen und was trinken, weil alles, was in mir ist, die ganzen Emotionen, so gewaltig sind, dass es negative Begleiterscheinungen nach sich ziehen könnte. Ich muss erst ein wenig runterkommen, vielleicht eine Dusche nehmen, mich hinsetzen und ein paar Biere trinken and ein paar Drogen rauchen (*lacht*). Was auch immer einem hilft, wieder auf die Erde zurückzukommen.
Wenn du auf der Bühne performst, bist du also nicht auf der Erde?
Nein, ich denke nicht. Ich glaube, wir wandeln irgendwie zwischen den Welten. Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass das, was wir tun, eine Art ritueller Magie ist – eine sehr grundlegende, simple Form davon. Was sie tut, ist, dass sie eine Art Tor öffnet und unterschiedlichen Realitäten oder Unrealitäten, oder wie man es nennen mag, erlaubt, in diese Phase einzudringen. Und das alles führt dich an einen anderen Ort, an dem sich alles verändert – jedes Molekül nimmt dort eine andere Form an.
Was aber ist genau der Unterschied zwischen dem „Besessen sein von Satan“, wie du es nennst, und der Magie von Musik, wie man sie bei vielen anderen Bands erfährt?
Ich glaube, dass Musik ein Werkzeug ist. Sie ist eine Form der Konzentration, wie es ein Mantra für einen Hindu ist – wenn du das Mantra aufsagst und eins mit ihm wirst, dann öffnest du wie bei der Musik deinen Geist, du öffnest Türen. Wir haben die Musik als unser Werkzeug gewählt, ein praktizierender Okkultist wählt vielleicht die Magie oder die Beschwörung von Geistern. Aber all diese Möglichkeiten haben einen gewissen Charme, eine gewisse Kraft. Für mich funktioniert die Musik am besten. Lass mich mal kurz Bier holen. (*Holt mal kurz Bier*)
Selim Lemouchi über die Entstehung von The Devil's Blood
Auf Spiegel Online habe ich einen Artikel über euch gelesen, dort hieß es, dass ihr eine der aufregendsten Newcomer-Bands in der Metal-Szene wärt. Das sehe ich genauso – dennoch ist euer steiler Aufstieg schon ein wenig überraschend, oder?
Stimmt, wir kamen schon ein bisschen aus dem Nichts. Ich kann nur sagen, dass The Devil’s Blood meine Art war, all die Dinge auszudrücken, von denen ich eben gesprochen habe, als wir damals angefangen haben.
Das war noch mal wann genau?
Ende 2007. Ich hatte schon ein bisschen länger Songs geschrieben, seit Anfang 2007, dann gab es aber eine kleine Auszeit, bis wir dann im Oktober und November ein Line-up zusammengestellt haben. Wir arbeiteten ganz einfach nach der „Mal sehen, wo es uns hinführt“-Methode. Wir gingen in den Proberaum, weil wir dachten, dass es interessant wäre, die Songs, die ich geschrieben hatte, zusammen zu spielen. Und dann kam plötzlich ein Label und wollte etwas mit uns veröffentlichen. Und wir haben gefragt ‚Okay, zahlt ihr dann auch für alles?’ Und als sie ja sagten, haben wir gedacht ‚klar, warum eigentlich nicht?’ Wir haben also etwas aufgenommen, das ein paar positive Reaktionen ausgelöst hat, und dann wollten sie sogar ein ganzes Album mit uns machen. Und von da an haben wir alles ganz spontan auf das aufgebaut, was wir bereits hatten. Es war nicht so, dass wir gedacht haben ‚oh, in anderthalb Jahren sind wir da und da!’, da wir uns der Tatsache bewusst sind, dass das Leben etwas Flüchtiges ist – es ist einfach schwierig, etwas zu planen. Ich habe keine Ahnung, was ich nächste Woche machen werde, ich weiß noch nicht mal genau, wo wir morgen spielen werden. Alles kommt zu uns, und da das natürlich eine ziemlich blöde Einstellung ist, um auf der geschäftlichen Seite irgendetwas zustande zu bringen, dachten wir uns, dass es eine gute Idee wäre, dass jemand anders diesen Bereich für uns übernimmt. Ich muss mich also nicht um so uninteressanten Quatsch kümmern wie Rechnungen, Mietautos und so etwas. Von da an hat sich einfach alles ergeben, alles sehr spontan. Schmiede niemals irgendwelche Pläne, das ist meine Einstellung. Schau einfach nur, wohin es dich trägt.
Weisheit und Dämonen
Irgendwie ist es ja aber schon merkwürdig: The Devil’s Blood zollen Psychedelic-Rock-Bands der 60er und 70er Jahre Tribut, Bands wie Coven oder Jefferson Airplane. Und Blut auf der Bühne einzusetzen, ist jetzt auch nicht unbedingt neu. Was macht eine Band wie The Devil’s Blood im Jahr 2009 so faszinierend für die Leute?
(*Haucht*) Ich weiß es nicht. Und irgendwie will ich es auch gar nicht wissen. Die Interpretation ist der Schlüssel – meine Interpretation dieser Musik und dieser Band ist für mich. Und deine Interpretation ist für dich. Jeder, der sich damit auseinandersetzt, nimmt es unterschiedlich wahr. Ich habe genug Probleme damit zu erkennen, was in meinem eigenen Kopf abläuft – von dem anderer Leute ganz zu schweigen, insofern denke ich da gar nicht drüber nach. Wenn du über die Straße gehst und einen 50-Euro-Schein findest, dann hebst du ihn auf und steckst ihn in deine Tasche. Du fragst dich aber nicht, wie er dorthin gekommen ist. Vielleicht ist das Pragmatismus. Wie ich schon gesagt habe: Man schaut, wohin es einen trägt.
Ich hab mal einen 100-Mark-Schein gefunden. Und dann habe ich eine halbe Stunde auf dem Parkplatz gewartet, ob jemand kommt und nach ihm sucht.
Dann bist du ein besserer Mensch als ich.
Eigentlich war ich nur jung und dumm damals.
Du hast nach deinen eigenen Prinzipien gehandelt, und das ist meiner Meinung nach das Wichtigste. Ich stimme vielleicht nicht mit ihnen überein, aber du hast nach ihnen gehandelt – und das stellst du nicht in Frage, weil es sich für dich natürlich und richtig anfühlt. Auf vielen Ebenen ist das, was sich für mich natürlich anfühlt, für andere Menschen äußerst unnatürlich. Also müssen sie herausfinden, worum es geht, und vielleicht finden sie bei diesem Prozess auch etwas über sich selbst heraus.
Soll das den Hörern von The Devil’s Blood auch so ergehen? Dass sie die Musik hören und etwas über sich selbst herausfinden?
Das ist für mich der interessante Part: den Leuten zu helfen, ihre eigenen Wahrheiten in den Texten und der Musik zu finden. Ich denke, dass jeder Künstler danach strebt. Wenn du in ein Museum gehst und ein wirklich gutes Bild von Picasso siehst – interessierst du dich dann für das kleine Schild daneben, auf dem steht, was es sein soll, oder interessierst du dich für deinen ersten visuellen Eindruck? Das ist doch das, was kraftvoll ist, was du letztlich mitnimmst. Mit der Musik ist es genau so: Es geht um das Gefühl, das sie dir gibt, und die Dinge, die sie dir sagt. Dinge, die du vielleicht durch sie lernst oder auch verlernst, was in unserer Welt und der Gesellschaft, in der wir aufwachsen, fast noch wichtiger ist. Denn von dem Moment, in dem du geboren wirst, wird dein Gehirn nur mit Schwachsinn vollgestopft. Für mich persönlich ist The Devil’s Blood eine Möglichkeit, diesen Schwachsinn zu verarbeiten und zu etwas zu verarbeiten, das mir etwas bedeutet. Wenn unsere Musik das auch bei anderen Menschen auslösen könnte, wäre das großartig.
Du exorzierst mit der Musik also deine Dämonen?
Im Prinzip schon. Ich habe sie durch wahre Dämonen ausgetauscht. Und das bedeutet Weisheit.
Weisheit ist ein Dämon?
In der alten griechischen Mythologie bedeutet Dämon „der Weise“. Das gibt dir was, worüber du nachdenken kannst!
The Devil's Blood Interview: Selim Lemouchi über den Tod
Würdest du sagen, dass ihr als Menschen generell lebensbejahend seid? The Devil’s Blood scheinen sehr stark auf Blut und Tod fixiert zu sein.
Ich denke nicht, dass wir lebensbejahend sind. Ich denke, dadurch, dass wir den Tod akzeptieren und ihn zum höchsten Ideal erheben, bekommt das Leben, das wir führen müssen, bevor wir dieses Ziel erreichen, mehr Sinn. Lebensbejahend oder lebensverneinend ist somit eine knifflige Angelegenheit, denn wenn du wahrhaft, WAHRHAFT lebensverneinend bist, musst du im Prinzip auf der Stelle Selbstmord begehen. Das wäre eine einfache Angelegenheit. Es geht aber darum, welche Form von Energien du verströmst und welche Wahrheiten du erzählst. Für mich persönlich ist der Tod das stärkste Ideal für das, was keinen Sinn macht, und für das, was vollkommen Sinn macht. Und weißt du was? Was machst du mit der Zeit, die dir gegeben ist? Wie bewertest du die Dinge, die dich jeden Tag umgeben? Nimmst du sie für bare Münze oder stellst du Fragen? Zweifelst du die Realität an, wie wir sie sehen? Für mich ist das Luziferische System das, was Wissen bringt. Er bringt das Feuer vom Berg, er gibt Eva den Apfel – gewissermaßen ist das todesbejahend, da durch die Sünde der Tod in diese Welt kam, und Sünde war nichts anderes als die Suche nach Wissen. In der Bibel ist das ein wichtiger Teil, der Sündenfall mit Adam und Eva im Alten Testament. Sogar ein wenig später, als von Kain und Abel die Rede ist, ist es das Gleiche: Durch den Tod wird ein Mann über den anderen erhoben. Lebensbejahend? Ich denke nicht, dass das Leben etwas ist, das man bejahen muss, da es schon da ist. Der Tod ist es, der Bestätigung erhalten muss.
Für mich als Atheist ist das schwer zu verstehen: Wenn ich an die Existenz von Satan glaube, dann muss ich doch auch an die Existenz eines Gottes glauben, weil das Prinzip Satan die völlige Antithese von Gott bedeutet. Oder wie siehst du das?
Ja, absolut. Ich folge nicht dem simplistischen Judeo-christlichen Bild vom Teufel als kleinem roten Mann mit Hörnern, sondern ich glaube, dass das Universum durch die Ausströmungen des Lebens erschaffen wurde. Das wurde in der kabbalistischen Lebenseinstellung dokumentiert – es gibt den Baum des Lebens, den Moment der Erschaffung und alles entwickelt sich bis nach unten zum Wesen der Dinge. Das bedeutet aber auch, dass es eine Schattenseite gibt, und das ist Satan. Es gibt den Right Hand Path und den Left Hand Path…
Und der Left Hand Path wird immer für Entombed stehen…
Ja, vielleicht haben sie darüber gesungen, ohne zu wissen, worum es sich dabei handelt. In der alten jüdischen und kabbalistischen Lehre ist der Left Hand Path der Baum des Todes, der gleichzeitig der Baum des Wissens ist. Das ist also alles sehr stark miteinander verbunden.
Die Bedeutung des Blutes bei The Devil's Blood
Sag mal… wie viel Zeit hast du eigentlich noch?
Keine Ahnung – wie viele Fragen hast du noch?
Ich weiß nicht, ob ich schon eine davon gefragt habe, weil du ein Interviewpartner bist, der auch mal was zu erzählen hat.
Das liegt daran, dass ich über Dinge rede, die mir etwas bedeuten. Ich wurde in den letzten Monaten schon mit einigen wirklich bescheuerten Interviewpartnern konfrontiert.
Und ich bin der schlimmste von allen?
Nein, überhaupt nicht! Also ich habe ja keine Ahnung, wie eure Welt funktioniert, daher verlange ich auch nicht, dass jeder Journalist meine spirituellen Gedanken kennt. Aber man sollte schon erwarten können, dass sie vorher die Bandbiografie lesen – und die meisten machen noch nicht mal das. So was ist dann natürlich ziemlich frustrierend.
Gut, dann lass uns weitermachen. Was hat es mit dem Blut auf sich? Ich habe gelesen, dass Blut ein integraler Bestandteil eurer Stage-Performance ist – werden wir heute auch welches sehen?
Ich denke schon! Wir bringen immer Blut mit.
Warum ist die physische Substanz so wichtig?
Blut ist ein sehr mächtiges Material. Zuallererst bedeutet Blut Macht, Blut ist Leben. Ich muss das sehr sorgfältig ausdrücken: Wir versuchen, so anonym wie möglich zu sein. Auf der Bühne, in unserem Alltagsleben und bei allem, was die Band betrifft, wollen wir, dass die Leute über The Devil’s Blood sprechen und nicht über mich oder sonst wen aus der Band. Das Einzige, was interessant ist, das ist The Devil’s Blood und die Worte und die Musik. Am Anfang unseres Rituals bedecken wir uns daher mit dem Blut. Das ist wie eine Maske, die wir anlegen – wir distanzieren uns damit von uns selbst und entpersonalisieren uns so. Dadurch verdrängt man auch gewisse Elemente seiner Persönlichkeit, alltägliche Gefühle wie Angst, Zweifel, Hoffnungslosigkeit. All das wird abgestreift und durch all das ersetzt, was dich mächtig macht. Dieses Blut ist wie ein Zeichen, es sagt ‚ich bin ein Geist, ich bin Macht! Ich kann mich verändern, ich bin nicht hier, schau mich nicht an, ich bin nicht wichtig! Die Macht, die wir performen, ist wichtig!’
Kehrt ihr damit auch eure innere Kraft, das Blut, das euch am Leben hält, nach außen?
Auf eine gewisse Art, ja. Es geht darum, die Persönlichkeit zu entwerten und die Atmosphäre aufzuwerten.
Selim Lemouchi über das Album „The Time Of No Time Evermore“
Ihr sagt ja von euch, dass ihr keine Band, sondern ein Kult seid, richtig?
Es gibt zwei Seiten: Es gibt den Kult und es gibt die Band. Jeder von uns ist verschieden und hat unterschiedliche Ansichten in Bezug auf bestimmte Dinge. Ich bin keine missionierende Person, ich will nicht, dass jeder das Gleiche glaubt und fühlt wie ich. Jeder vom spielenden Teil der Band hat eine andere Einstellung dazu, aber innerhalb des Kultes ist es viel klarer definiert. Das ändert sich aber auch von Zeit zu Zeit. Ich kann nicht all zu viel darüber sagen, da es eine sehr persönliche Sache ist.
Man muss The Devil’s Blood wohl live sehen, um zu verstehen, worum es bei euch wirklich geht, oder?
Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht genau. Wenn Leute nicht gerne zu Konzerten gehen und unsere Rituale nicht live sehen wollen, dann können sie das gleiche Gefühl auch durch das Album bekommen, das funktioniert auch. Das sind zwei verschiedene Disziplinen, zwei unterschiedliche Kunstformen sogar.
Der Titel eures Debütalbums ist „The Time Of No Time Evermore“ – ist das eine Beschreibung der Welt, wie ihr sie im Moment seht, oder wie ihr sie gerne sehen würdet? Der klingt ja schon sehr apokalyptisch.
„The Time Of No Time Evermore“ ist der Moment der Verdammnis, des letzten Gerichts, des Endes der Welt, der Apokalypse. Das bedeutet es. Es gibt aber immer ein Hoch und ein Tief – du hast das Spirituelle und du hast das Bodenständige, das Weltliche. Der Titel hat auch eine persönliche Bedeutung: Die Zeit, in der die Zeit endet, ist ein Zustand deines Geistes, in dem Gesetze nicht länger gültig sind und alles nur noch völlige Freiheit ist. Man könnte das auch als Chaos bezeichnen.
Wie nah sind wir diesem Zustand?
Einige Dinge kann man nicht lehren, einige Dinge müssen selbst erfahren werden. Der Weg der Erkenntnis ist für jeden unterschiedlich. Er windet sich, wird breit und schmal, und du wirst nur Wissen erlangen, wenn du die unangenehme Realität nicht mehr für bare Münze nimmst and anfängst, dahinter zu schauen – nur dadurch wirst du eine weisere, stärkere Person.
Wer aber macht das heute? Unsere Gesellschaft wurde doch vollkommen oberflächlich gemacht.
Sie hat aus den meisten Menschen Zombies gemacht, das stimmt. Deswegen sind wir mit The Devil’s Blood der kleine Lichtblick in der unendlichen Dunkelheit. Einige Leute sehen ihn vielleicht und werden davon angezogen und ihre Reise wird diese spirituelle Dunkelheit in etwas Helleres verwandeln. Weiterhin in dieser Dunkelheit umherzuirren, würde bedeuten, sich in die Sklaverei zu fügen – und das ist eine Entscheidung, die jeder ganz bewusst treffen kann. Es ist zu einfach zu sagen ‚ohhh, es ist, wie es ist – was soll ich machen? Ich bin doch nur ich.’ Es ist möglich, der Gott seiner eigenen Schöpfung zu werden.
Datum:
Ort:
Hamburg, Markthalle
Ben Foitzik 2009