#020 Biffy Clyro im Interview: Simon Neil und James Johnston über „Puzzles“

Februar 2008: Erstkontakt zwischen Ben und der besten Band der Welt in den Katakomben der Großen Freiheit in Hamburg. Der Beginn einer großen Liebe, die zu vielen weiteren persönlichen Begegnungen und Biffy-Clyro-Interviews führen sollte. Sänger Simon Neil und Bassist James Johnston schotteln Ben an diesem denkwürdigen Abend zwar einen Knoten ins Ohr, doch nach langen Jahren minutiöser Transkription konnte der Wortlaut des Gesprächs nun endlich für die Nachwelt restauriert werden. Die beiden Charmebolzen sprechen über die stetigen Veränderungen in ihrer Musik, ihren Wechsel zum Major mit dem „Puzzles“-Album, das Musikmachen im Allgemeinen und das besondere Etwas von Biffy Clyro. Mon the Biff!

„Das Erschaffen von Musik hält uns am Leben.“
SIMON NEIL
2008
„Das Erschaffen von Musik hält uns am Leben.“
Simon Neil
2008

Biffy Clyro: Interview mit Simon Neil und James Johnston

Hey Biffys! Ihr eröffnet heute Abend für Queens of the Stone Age – wie fühlt sich das an?
Simon: Wie ein wahr gewordener Traum. Wir sind seit vielen Jahren große Queens-Fans, und jetzt mit ihnen auf Tour zu sein und sie jeden Tag zu treffen, ist großartig.

Na dann lasst uns mal anfangen, und zwar ganz am Anfang: Was bedeutet euch Musik?
Simon: Musik ist alles für uns. Wir machen gemeinsam Musik, seit wir 15 Jahre alt sind. Die Band haben wir dann mit 22 gegründet – wir machen Biffy also seit fünf oder sechs Jahren. Es ist etwas, ohne das wir, glaube ich, nicht mehr leben könnten, weil wir so früh angefangen haben und das jetzt schon unser halbes Leben machen. Die ersten Liveshows, zu denen wir damals als Kids gegangen sind, waren Joe Cocker, Status Quo und Metallica – wenn du so etwas erlebst, dann bringt es dein Herz in Wallung. Es gibt Menschen, die keine Musik brauchen. Andere wiederum brauchen die Musik, weil es ihre Leidenschaft ist. Und wir waren schon von kleinauf voller Leidenschaft dabei.
James: Ich denke, in unserem Alter sind viele andere damit beschäftigt zu überlegen, welchen Job sie mal machen wollen, ob sie Anwalt oder Arzt werden wollen. Für uns war es sehr einfach, der Musik zu verfallen, denn wir wussten nicht, was wir sonst machen wollten. Daher war Musik die offensichtliche Wahl. Wir schätzen uns glücklich, dass wir immer noch Musik machen dürfen. Ich hab die ganze Zeit Angst, dass uns irgend jemand auf die Schliche kommt und sagt „Ihr könnt doch gar nichts!“

Könntet ihr euch vorstellen, dass Musik irgendwann mal nicht mehr der Mittelpunkt eures Lebens ist?
Simon: Ich denke, wir werden immer Musik machen. Vielleicht werden wir in zehn oder 15 Jahren nicht mehr so viel auf Tour gehen. Aber ich glaube, Musikmachen liegt uns im Blut, und ich denke, dass es uns unglücklich machen würde, keine Musik zu machen. Das Erschaffen von Musik, das Aufnehmen neuer Alben ist einfach ein Teil von uns, es hält uns am Leben. Für mich ist das der beste Teil davon, in einer Band zu sein – die Musik zu erschaffen. Touren macht unglaublich viel Spaß, aber es kann auch hart sein, wenn man so viel von zu Hause weg ist. Wir werden nie aufhören, Musik zu machen, aber wenn man es irgendwann 20 oder 30 Jahre lang gemacht hat, möchte man vielleicht einfach weniger touren. Aber Musik werden wir immer machen.

Biffy Clyro über den Sellout-Vorwurf bei „Puzzles“

Was ist aus eurer Sicht die Zutat, die euch am meisten von allen anderen Bands da draußen abgrenzt?
Simon: Dummheit (*beide lachen*). Nein, ich weiß es nicht…
James: Es gibt einige Bands, die keine Risiken eingehen wollen und sich auf eine bestimmte Art von Musik festlegen. Wir hingegen, denke ich, haben eine Menge verschiedener Ansätze zur Musik, und das unterscheidet uns stark von anderen Bands. Viele Bands haben eine Formel und halten sich daran, aber wir haben immer versucht, die Dinge ein wenig anders zu machen. Vor allem wollen wir uns selbst mit dem, was wir tun, glücklich machen. Das ist möglicherweise auch ziemlich einzigartig.
Simon: Sobald man anfängt sich zu fragen, was andere Leute über die eigene Musik denken, kann man sich darin verlieren. Man beginnt, Dinge zu machen, die man selbst nicht liebt. Wir haben immer Musik für uns selbst gemacht – wenn wir damit zufrieden sind, ist es uns egal, ob wir für fünf oder fünftausend Menschen spielen, solange wir Spaß an dem haben, was wir tun. Viele Bands konzentrieren sich von Anfang an darauf, groß zu werden, und manche von ihnen verstricken sich darin und machen sich Sorgen darüber, wie sie aussehen und ob sie einen zeitgemäßen Sound haben und wie andere, erfolgreiche Bands klingen. Wir haben es immer einfach gemacht, selbst wenn wir zum Beispiel Reggae in einem Song oder Trompeten haben wollten. Denn Musik sollte Spaß machen, es sollte nie wie ein Job sein, sondern ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit – und wenn man damit dann Menschen erreicht, ist das großartig.

Manche sagen, ihr wärt mit „Puzzles“ zu poppig geworden und ähnliches Zeug. Nach dem Motto „Klar, jetzt sind sie auf einem Major, kein Wunder, dass sie poppig geworden sind“. Tangiert euch das?
Simon: Das gefällt uns tatsächlich sogar ganz gut, weil es bedeutet, dass wir etwas richtig machen. Wir wollen nicht jedes Mal wieder das gleiche Album machen. Das aktuelle Album ist ein großes Rock-Pop-Album, und genau das wollten wir damit erreichen. Egal ob wir bei Warner oder Beggars Banquet sind, wir mussten ein anderes Album machen. Ich denke, jedes unserer vier Alben hat sich in eine andere Richtung entwickelt, und ich bin sicher, einige Leute hätten es bevorzugt, wenn wir wie auf unserem letzten Album „Infinity Land“ oder auf „The Vertigo of Bliss“ geklungen hätten. Aber das wäre nicht ehrlich uns selbst gegenüber gewesen. Wenn man ein Album gemacht hat, hat man damit gesagt, was man sagen wollte. Man hat sozusagen reinen Tisch gemacht und fängt mit dem nächsten Album von vorne an. Wenn die Leute denken, wir würden das aus irgendeinem anderen Grund machen, dann ist das ihr Problem, nicht unseres. Wir machen das für uns, und wir könnten uns definitiv nicht so sehr darauf einlassen, wenn wir nicht hundertprozentig daran glauben würden.
James: Ich denke, das wird jeder Band passieren, die nicht viel kommerziellen Erfolg, aber dennoch einige Fans hat, die ihre früheren Alben wirklich mögen. Wann immer man ein neues Album herausbringt, wird immer jemand sagen: „Ich mag es nicht“, weil es manchmal einfach cool ist zu sagen: „Ich mochte die Band nur, als sie noch keiner kannte“ oder „Ich mochte das erste Album, aber das neue Zeug gefällt mir nicht.“
Simon: So waren wir auch, als wir jünger waren (*lacht*). Immer wenn eine Band, die wir liebten, erfolgreicher wurde, dachten wir: „Oh nein, die haben sich verkauft!“ Erst später haben wir erkannt, dass das nicht der Fall ist – Musik sollte anders sein und sich weiterentwickeln. Aber ja, es ist nervig, wenn die Leute falsche Dinge über uns denken.

Ich finde, es ist große Kunst, ein poppiges Album mit einer besonderen Note zu machen.
Simon: Nun, wir haben schon immer Popmusik geliebt. Auf all unseren früheren Alben hatten wir Popsongs, und bei diesem Album hatten wir nun die Chance, ein Orchester hinzuzufügen, was wir schon immer tun wollten.

Biffy Clyro Interview: Rhythmus, Gefühle, Therapie

Für mich ist eines der auffälligsten Elemente von Biffy Clyro der Rhythmus – eure Songs haben oft eine Rhythmik, wie sie keine andere Band hat. Ein Song wie ‚Living is a Problem Because Everything Dies‘ ist ein perfektes Beispiel dafür.
Simon: Wir machen einfach gerne Dinge, bei denen sich die Leute ein wenig unbehaglich fühlen. Wir wollen, dass sie sich ein bisschen anstrengen… wenn du einen schönen, eingängigen Refrain hören willst, musst du vielleicht zuerst durch einen wirklich seltsamen Part durch. Ich denke, wir waren in unseren Songs schon immer ein wenig verspielt. Wir wollten die Leute immer auf eine kleine Reise mitnehmen und es für sie lohnenswert machen. Es gibt nicht viele Bands, die Alben wie wir machen – hoffe ich zumindest. Wir wollen großartige Songs schreiben, aber wir wollen auch einzigartig sein und Dinge erschaffen, die sonst niemand machen würde.

Das gelingt euch ziemlich gut. Würdet ihr sagen, dass Musikmachen für euch eine Art Selbsttherapie ist?
Simon: Ich denke, es ist essenziell für uns, neue Musik zu machen und neue Songs zu entwickeln. Letztes Jahr waren wir ein ganzes Jahr nonstop auf Tour und hatten keine Zeit zu üben und neue Songs zu spielen. Dann hatten wir über Weihnachten etwas frei und sind sofort in unseren Proberaum gegangen und haben angefangen neue Songs zu spielen. Das war einfach großartig. Es hat uns daran erinnert, warum wir das alles machen: wegen der Musik.
James: Ich denke, wir haben uns wieder neu aufgeladen, weil wir so lange unterwegs waren und immer die gleichen Songs gespielt haben. Touren macht großen Spaß, aber wenn man die Gelegenheit bekommt, wieder etwas Neues auszuprobieren, erinnert man sich daran, warum man überhaupt in einer Band ist.

Geht es beim Musikmachen hauptsächlich darum, die eigenen Gefühle zu verarbeiten, oder eher darum, etwas an andere weiterzugeben?
Simon: Ich versuche, beim Schreiben von Texten nicht an andere zu denken. Ich glaube, der beste Teil von Kunst, sei es Malerei, Filme oder Musik, ist ziemlich egoistisch. Wenn jemand eine Vision für einen Song oder ein bestimmtes Gefühl, eine Emotion hat, die er in einen Song einbringen möchte, dann sollte er dem folgen. Also schreibe ich meine Texte meistens für mich selbst, und wenn sich die Leute damit verbinden können, ist das großartig, aber normalerweise mache ich es für mich. In gewisser Weise ist es also tatsächlich ein bisschen therapeutisch. Wenn wir über Zwerge singen wollen, singen wir über Zwerge, wenn wir über Drogen singen wollen, dann machen wir eben das. Musik wird ziemlich banal, wenn man versucht zu erraten, was der Zuhörer hören möchte. Wenn man Leute in ihren Dreißigern sieht, die über den Herzschmerz in der Highschool singen, dann singen sie nicht über das, was sie wirklich fühlen. In dem Alter würde ich eher über das Leben mit einer Frau und Kindern singen. Mir gefällt es, wenn Menschen in ihrer Musik ehrlich sind, auch wenn Ehrlichkeit manchmal langweilig sein kann. Man muss über das singen, was einem wirklich passiert. Es sei denn, man ist Nick Cave und kann über den Teufel singen (lacht).

Aber wenn du über diese persönlichen Dinge singst, werden diese Gefühle immer in dem Song bestehen bleiben und dich immer an die traurige Zeit erinnern, die du durchgemacht hast, als du sie empfunden hast. Ich denke da natürlich an „Folding Stars“, in dem du den Tod deiner Mutter verarbeitest.
Simon: Ja, „‚Folding Stars“ ist der härteste Song für mich. Wir haben ihn live nur zwei- oder dreimal gespielt… Ich höre mir diesen Song auch nicht an. Es ist ein Song, den wir bewusst speziell halten wollten, ohne uns daran zu gewöhnen, ihn jeden Tag zu spielen. Wir wollten, dass er immer dieses emotionale Gewicht trägt. Wenn wir ihn jede Nacht ein Jahr lang gespielt hätten, wäre er nicht mehr so besonders. Das ist der eine Song, den wir sozusagen bewusst auf Abstand gehalten haben. Andere Songs können auch sehr ernst und emotional sein und viel bedeuten, aber es ist leichter, dabei abzuschalten. Bei manchen Songs, die man jede Nacht spielt, ist es einfacher, sich nicht jedes Mal davon runterziehen zu lassen. Aber diesen einen Song wollten wir unberührt lassen. So schön er auch ist.

Biffy Clyro im Interview: die Magie von Liveshows

Was passiert mit euch, wenn ihr die Songs live spielt? Entsteht die Magie jede Nacht, oder kann es manchmal schwer sein, das Gefühl der Songs zu spüren?
Simon: Ich denke, manchmal kann man nicht erklären, warum es magische Abende gibt, es passiert einfach. Aber wir sind sehr stolz auf unsere Live-Shows, und selbst wenn der Raum voller Menschen ist, die sich nicht für uns interessieren, können wir immer noch das beste Konzert des Jahres haben. Einige unserer Lieblingsshows im letzten Jahr waren gerade die, bei denen wir den Leuten scheißegal waren. Wir haben mit den Rolling Stones in Rom gespielt, und da waren etwa 30.000 Menschen, die sich nicht die Bohne für uns interessiert haben, sie wollten uns einfach nicht hören. Trotzdem war es eines unserer Lieblingskonzerte des Jahres, weil zwischen uns dreien die Magie stattfand. Man kann das nicht immer kontrollieren, aber solange man bei jeder Show alles gibt, was man hat, kann man als Band nicht mehr tun. Wir würden uns nie verzeihen, wenn wir von der Bühne gehen und denken würden, dass wir nicht unser ganzes Herzblut gegeben haben. Das wird nie passieren. Wir hoffen, dass das der Grund dafür ist, warum wir eine gute Live-Band sind.
James: Manchmal ist es schwieriger bei Shows, von denen man erwartet, dass sie großartig werden. Wie Simon gesagt hat, ist es manchmal einfacher, wenn du denkst, dass die Leute dich nicht mögen werden, denn dann kannst du einfach rausgehen und dein Ding machen. Dann liegt der Druck bei dir selbst und kommt nicht von anderen – und das lässt sich manchmal viel besser kontrollieren.

Biffy Clyro Interview:
Ben Foitzik
Datum:
23. Februar 2008
Ort:
Große Freiheit, Hamburg
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2008

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