#018 Ghost-Interview: Tobias Forge über sein Alter Ego Papa Emeritus

Februar 2016: Im Vorfeld ihres Rituals im Bremer Schlachthof hat Ben die Ehre, ein Ghost-Interview mit Band-Leader Tobias Forge zu führen. 45 Minuten, Face to Face, beide ohne Maske. Für Forge Business as usual, für Ben ein kleines Karriere-Highlight, denn als passionierter Ghost-Jünger, der in seinem Leben bereits eine dreistellige Zahl kleidsamer Fan-Devotionalien erworben hat, ist ein Treffen mit dem Mann hinter Papa Emeritus natürlich etwas ganz Besonderes. Zumal es zu einer Zeit stattfand, als die Identität von Papa Emeritus noch nicht offiziell bestätigt war.
Was an Ghost eigentlich so großartig ist? Nun, Ghost sind mehr als nur eine Band mit fantastischen Rockhymnen. Sie sind ein lebendiger Mythos, eine große Show, herrlich übertrieben inszeniertes Musiktheater, grandioses Entertainment. Wer einmal eine Ghost-Headliner-Show erlebt hat, wird vermutlich immer wiederkommen wollen. Und das nicht nur, weil der Weihrauch so angenehm riecht. Sondern weil es Papa Emeritus und seine namenlosen Ghouls und Ghoulettes wie kaum eine andere Band verstehen, ihr Publikum nicht nur mit genialen Songs zu beschallen, sondern ihm auch das zu geben, was man von einer Live-Show erwarten darf: maximale Unterhaltung!

„Ich weigere mich, im Ghost-Gefängnis eingesperrt zu bleiben.“
Tobias Forge
2016
„Ich weigere mich, im Ghost-Gefängnis eingesperrt zu bleiben.“
Tobias Forge
2016

Ghost: Interview mit Tobias Forge alias Papa Emeritus

Hallo Tobias. Ihr habt kürzlich einen Grammy für „Cirice“ gewonnen. Bei der Award-Show haben die Leute etwas reserviert reagiert, als ihr auf die Bühne kamt. Wie habt ihr die Show wahrgenommen, hat es sich für Ghost gelohnt?
Die Reaktionen waren gar nicht mal so seltsam, wie wir es befürchtet hatten. Es kannten uns dort mehr Leute, als wir gedacht hatten. Nach der Show kamen viele Leute unterschiedlichen Alters, sozialen und kulturellen Backgrounds zu uns… Leute, die normalerweise Soul oder Jazz oder Hip-Hop hören und von denen man nicht gedacht hätte, dass man sie erreichen kann. Alle waren irgendwie total positiv. Eigentlich sollte man ja denken, dass eine Band wie wir, mit unserem Image und so, in Amerika viel Gegenwind bekommt. So etwas haben wir aber überhaupt nicht erlebt. Die Leute finden, dass wir Spaß machen und Unterhaltung bieten.

Vielleicht haben sie gar keine Angst vor euch, weil Papa Emeritus auf der Bühne ein ziemlich lustiger und liebenswerter Typ ist.
Wir taugen natürlich nicht als Staatsfeind oder Hassfigur, wie es vielleicht ein Glen Benton war, als er damals mit 24 in die Kamera sagte, dass er möchte, dass sich alle Leute selbst umbringen. Großer Unterschied. Ich bin mir sicher, dass wir, sobald wir ein gewisses Aufmerksamkeitslevel überschreiten, immer mehr Menschen anziehen werden. Wenn die Leute also fragen „Wie war das mit dem schlechten Empfang bei den Grammys?“ kann ich nur sagen, dass wir das überhaupt nicht so wahrgenommen haben. Es war viel besser, als erwartet. Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir dieses merkwürdige Clown-Ding sind und wie etwas total Schräges behandelt werden.

Werden die Grammys etwas für euch verändern?
Natürlich. Allerdings eher auf einer persönlichen Ebene. Ich glaube nicht, dass am Tag danach plötzlich alle aufgewacht sind, einen kollektiven Ghost-Orgasmus hatten und losgezogen sind, um unsere Platten zu kaufen. Es wäre was anderes, wenn du ein gefeierter Newcomer bist, sieben Nominierungen hast und alle davon gewinnst, denn dann weiß plötzlich jeder, wer du bist. Für uns ist der Grammy eher eine Art Business-Bescheinigung: Plötzlich sind gewisse Promoter, Sponsoren und große Firmen auf uns aufmerksam geworden. Für mich als Songwriter ist es natürlich ebenfalls eine Bestätigung – die Grammy-Medaille an der Jacke nimmst du ab jetzt zu jedem Meeting, zu jedem Essen und zu jeder Zusammenarbeit mit, die du machst. Das ist beruflich ein großer Schritt nach vorne. Der Grammy-Gewinn bringt dir also hauptsächlich Aufmerksamkeit im Business und öffnet dir Türen. Und es ist eine Auszeichnung, ein Titel.

Außerdem habt ihr euch gegen Kollegen wie Slipknot und Lamb of God durchgesetzt, was sich ja auch ziemlich cool anfühlen muss.
Wenn man bedenkt, dass sich die Votes bei den Grammys nach Bekanntheit richten, auf jeden Fall. Ich habe keine Ahnung, wieviele Leute da mitmachen… vielleicht zehn oder 15 Tausend. Normalerweise stimmen die meisten davon für den Namen, den sie schon mal gehört haben. Deswegen gewinnt eigentlich immer die bekannteste Band. Wenn Dave Grohl mit zur Wahl steht, wird er immer gewinnen, denn jeder liebt ihn und weiß, wer er ist. Und das völlig zu Recht, denn er macht immer wieder coole neue Dinge. Er wird aber auch immer den Vorteil haben, dass alle ihn mögen. Auf der anderen Seiten werden die weniger Beliebten nie gewinnen, weil die Leute denken „ach, der… nein“. Im Vorfeld dachten wir daher, dass natürlich Slipknot gewinnen werden. Weil Corey Taylor einfach so eine mediale Persönlichkeit ist, die jeder kennt. Oder Randy Blythe, der aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls sehr präsent in den Medien war. Unsere Band war dagegen weitaus weniger bekannt, vor allem was die Personen anbelangt. Die Amerikaner mögen Geschichten, sie mögen Menschen, die greifbar sind. Also haben wir uns wenig Hoffnung gemacht. Dann haben wir aber gewonnen und uns gedacht „Verdammt, die Leute wussten, wer wir sind!“

Tobias Forge im Ghost-Interview über Anonymität

Als Rockmusiker will man doch eigentlich auf der Bühne gefeiert werden – wie passt das damit zusammen, dass ihr unter den Masken anonym seid? Anders gefragt: Ist es künstlerisch befriedigend, ausschließlich unter Masken zu performen?
Ja, das ist es. Aber ist es genug? (Lange Pause) Ich persönlich bin ganz zufrieden damit. Klar, wie alle anderen, die Musiker geworden sind und die es auf die Bühne gezogen hat, habe auch ich eine Art exhibitionistisches Verlangen, erkannt und geliebt zu werden. Man muss aber unterscheiden zwischen „maskiert auftreten“ und „anonym bleiben“. Uns ist immer bewusst gewesen, dass wir als Band wohl immer maskiert bleiben werden, dass wir aber auf Dauer vermutlich nicht anonym bleiben können. Das ist einfach unmöglich. Wenn du anonym bleiben willst, dann sei nicht in einer Rockband. Im Alltag fühle ich mich überhaupt nicht anonym – wenn ich jetzt in die Lobby gehen würde, dann würden mich die meisten Leute erkennen. Wenn ich in den Bus steigen würde, würden die Leute mich ansprechen. Das Gleiche im Platten- oder Gitarrenladen. Ich fühle mich also nicht anonym. Klar, als Teenager – und vermutlich heute immer noch ein bisschen – dachte ich, dass wenn man berühmt wird, nur hübsche Mädchen mit dir sprechen wollen und sonst niemand. Ich habe lernen müssen, dass das nicht unbedingt immer der Fall ist (*lacht*). Ich bin also nicht supertraurig, dass einen nicht jeder erkennt, denn am Ende sind es eine Menge Leute, die mit dir über irgendwas reden möchten. Da ist es manchmal ganz praktisch, wenn man hinter eine Maske schlüpfen kann, vor allem bei Geschichten wie den Grammys, wo einen dann jeder wegen genau dieser Masken erkennt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mögen würde, wie ein Rockstar großen Kalibers von Menschen umringt und ständig gefilmt zu werden.

Glaubst du, ihr hättet den gleichen Erfolg, wenn ihr nicht in dieser Verkleidung auftreten würdet und nur eine „normale“ Rockband mit starken Songs wärt?
Unsere Karriere wäre sicher anders verlaufen – wir hätten nicht zu dem werden können, was wir jetzt sind. Meine Lieblingsanalogie dafür ist diese: Wäre Adele so erfolgreich gewesen, wenn sie wie Ariana Grande aussehen und tanzen würde? Vermutlich nicht, denn man liebt sie für viele andere Dinge. Wenn sie eine freizügige Tänzerin mit der gleichen Stimme gewesen wäre, weiß ich nicht, ob sie es so weit gebracht hätte. Ich möchte aber noch eine Sache zu dieser Sache zum Anonym-Bleiben und Masken-Tragen sagen: Ich kann mich dafür verbürgen, dass wir Ghost niemals ohne Masken machen werden. Andererseits bin ich auch ein Musiker, ein Entertainer und ein Songwriter. Ich kann nicht versprechen, dass ich für immer anonym bleiben werde. Wenn ich mal wieder etwas anderes als Ghost mache, dann wird das nichts sein, wobei ich anonym bin – das habe ich jetzt schon zweimal gemacht. Ich will in Zukunft noch andere Dinge machen, und ich werde sie nicht anonym tun – scheiß darauf! Es geht mir dabei aber nicht darum, auf der Straße erkannt zu werden, es ist einfach nur so, dass Ghost ein Projekt ist und ich auch mal andere Sachen machen möchte. Viele Leute sagen ja, dass es Ghost zerstören würde, wenn wir nebenbei auch noch etwas anderes machen würden. Ich weigere mich aber, in diesem Gefängnis eingesperrt zu sein. Ich liebe es, das hier zu machen, aber es geschieht in einem gewissen Kontext. Es ist eine Freiheit – keine Beschränkung.

Den Ghost-Mythos werdet ihr also weiter so durchziehen? Zum Beispiel bei jedem neuen Album einen neuen Papa Emeritus als Frontmann ernennen?
Oh yeah! Das ist Teil der Show! Ich sehe mich bei Ghost auch eher als eine Art Dirigent, als – um mal einen großen Namen zu nennen – Andrew Lloyd Webber, der seine Kreation betrachtet. Das hier ist das Ghost-Projekt, die Ghost-Trilogie oder wozu immer das noch werden wird. Wie jeder andere Schauspieler oder Musiker möchte ich aber nicht in dieser Rolle feststecken, sondern auch andere Dinge machen. Einer der positiven Aspekte in einer Band wie dieser ist ja, dass man seine eigene Band ziemlich objektiv betrachten kann – und nicht der Idee verfällt, man sei seine eigene Bühnenpersona. Mit dem richtigen Maß an Alkohol kann man sich natürlich trotzdem in diese verwandeln (*lacht*). Wir kommen aus der extremen Metalszene und ich habe Freunde, die Sänger in bekannten Black-Metal-Bands sind oder starke Media-Persönlichkeiten in der Black-Metal-Szene. Die haben aus meiner Sicht schon eher Probleme damit, in einer Bar zu sitzen und diese Persönlichkeit sein zu müssen. Ich hingegen hatte damit noch nie Probleme, denn niemand erwartet, dass ich in der Bar ohne Maske Papa Emeritus bin.

Hilft das auch ein bisschen dabei, auf dem Boden zu bleiben, wenn man sich von seiner Bühnen-Persona abgrenzen kann?
Zumindest ein bisschen näher am Boden. Wir schweben natürlich schon ein bisschen, aber nicht so hoch. Wir können beim Laufen immer noch den Boden erreichen. Wir schweben ganz nah über dem Boden (*lacht*). Uns hat auch noch nie jemand versucht damit zu beeindrucken, dass er vor unseren Augen eine Katze opfert oder uns erzählt, wie böse er ist. Einige meiner Bekannten mussten sich mit sowas schon auseinandersetzen – was offensichtlich ziemlich lästig ist.

Wie lange wird es Ghost noch geben?

Du hast eben schon ein bisschen angedeutet, dass Ghost irgendwann mal zu einem Ende kommen könnten.
Ich denke, es ist gesund, sich der Sterblichkeit einer Band bewusst zu sein. Als romantisch denkender Mensch glaube ich, dass man etwas genießen sollte, solange es währt – und dass man sich dessen bewusst ist. Ganz im Ernst: Wenn man sich verliebt, und selbst wenn es eine wirklich große Liebe ist, sagt die Statistik, dass diese Liebe nach sieben Jahren zu Ende sein wird. Das ist die Haltbarkeit von Liebe. Wenn man das akzeptieren kann, auch wenn es wehtut, dann wird sich dein Leben und wie du es planst, welche Limitierungen du dir selbst auferlegst… das alles wird sich verändern. Ich habe eine ähnliche Einstellung zu Ghost: Ich liebe es das zu tun, denn es ist bis jetzt meine größte künstlerische Leistung. Ich weiß, dass wir gerade recht populär sind und hoffentlich nächstes Jahr noch populärer sein werden, aber wie jede andere Band werden auch wir unser Höhen und Tiefen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir überleben, ist eher gering. Es ist auch eine große Verantwortung, denn es gibt ja viele Menschen, die von uns leben und die auf uns angewiesen sind. Deswegen werden wir das auch weitermachen. In meinem Kopf haben wir noch drei oder vier Jahre mit Plänen vor uns, mit Dingen, die wir noch machen müssen, um diese Band auszuschöpfen. Ich will mir aber auch den Gedanken bewahren, dass wir das hier jederzeit beenden können, und nicht hysterisch daran festhalten, weil es ein toller Job ist. Es gibt so viele bekannte Bands dort draußen, die immer weiter neue Alben rausbringen, ihren Job aber nicht mehr ausstehen können. Sie hassen es und sind verbittert, weil sie feststecken. Und weil sie keinen sogenannten „normalen“ Job machen wollen. Die Angst davor, wieder auf dem Boden zu landen, ist so groß, dass sie lieber unglücklich sind und weitermachen. Und das ist etwas, was ich wirklich nicht machen möchte. So etwas wird auch den Fans nicht gerecht. Wenn ich zynisch sein soll, dann würde ich sagen: Sobald das hier keinen Spaß mehr macht und wir nichts mehr zu sagen haben – lasst uns einfach in den Sack hauen! (*flüstert plötzlich*)… und zehn Jahre später feiern wir dann einfach ein Comeback. Das ist sehr viel besser als einfach weiterzumachen und zu einer Lachnummer zu werden. Es gibt so viele Bands, die sich am Ende gegenseitig hassen, die es hassen, zu welcher Figur sie geworden sind, die ihre Songs und einfach alles hassen. Das ist tatsächlich eins meiner Lebensziele: Diese Person nicht zu werden (*lacht*).

Viele Leute – ich eingeschlossen – finden, dass Ghost bald zu einer der größten Rockbands überhaupt werden könnten. Weil ihr so starke Songs, eine großartige Backstory, Show und Performance habt. Bald geht es richtig ab für euch!
Das hoffen wir natürlich auch und danach streben wir. Der Ansatz dieser Band war schon immer, eine große Show abzuliefern. Um es mal in eine Perspektive zu rücken: Wir wollten und wollen noch immer das Äquivalent zu Rammstein werden. Sie sind eine Industrial-Band, wir wollen eher eine Horror-Band oder was auch immer sein. Rammstein als Vorbild zu nennen, ist einfacher, als zu sagen „Wir wollen die neuen Metallica oder die neuen AC/DC werden“, weil die aus einer ganz anderen Zeit kommen. Sie gründen sich auf einem Vermächtnis und Erinnerungen – zu ihren Shows kommen viele Leute, die noch mal in ihre Kindheit oder Jugend zurückversetzt werden möchten. Das ist für eine junge Band mit wenig Geschichte natürlich schwierig. Aus dem Grund haben wir auch die unterschiedlichen Ghost-Dynastien entworfen, weil du dann automatisch eine Vergangenheit hast. „Du warst schon dabei, als es den ersten Papa gab? Ich bin beim zweiten Fan geworden. Oh, du bist erst seit dem dritten dabei?“

Bei mir war es tatsächlich Papa Emeritus III – bis dahin mochte ich eure Alben eigentlich gar nicht so. Doch dann wurde ich in den Ghost-Kosmos gesaugt.
Mir ging es ähnlich bei den Strokes. Als die zum ersten Mal aufkreuzten, habe ich sie verdammt noch mal gehasst. Ich fand sie scheiße. Ich habe Leute gehasst, die sie gut fanden. Weil sie mir einfach unfassbar auf den Sack gegangen sind. Dann haben sie ein Album namens „First Impressions On Earth“ veröffentlicht, das ich absolut geliebt habe. Und seither vergöttere ich sie. Vielleicht mochte ich das Album, weil es ihr sogenanntes Sellout-Album war., das viele andere gehasst haben. Ich bin aber absolut offen für die Idee der Veränderung und würde sie einer Band niemals vorwerfen. Es gibt für einige Menschen immer strenge Regeln, was Metal ist oder was dies und das ist. Ich verstehe, dass eine Band, die so wild mit unterschiedlichen Stilen herumtanzt, ziemlich nervig sein kann. Auch ich verabscheue andere Bands aus absolut kindischen Gründen. Einfach nur so. Du kannst nicht alles mögen. Wir erwarten auch nicht, dass uns jeder mag.

Ghost-Interview: Tobias Forge über Roky Erickson

Wenn du Leuten, die Ghost nicht kennen, einen Song wie „If you have Ghosts“ vorspielst, sagen sie vermutlich „Welche schöner Song!“ Und wenn du ihnen danach ein Bild von euch zeigst, sagen sie vermutlich „nein, Danke!“
Um auf eine deiner vorangegangen Fragen zurückzukommen: Wenn wir keine Masken tragen würden, würden wir vermutlich mehr Leute erreichen. Aber so ist es eben.

Sind Ghost eher eine Studio- oder eine Liveband?
Wenn wir Songs schreiben, dann schreiben wir Songs, die in einem Liveset funktionieren sollen. So wirst du dann eine immer bessere Liveband. Wir versuchen auch immer, jedem im Saal eines klarzumachen: „Leute, hier sind nicht 2.000 muskelbepackte Typen im Publikum – hört verdammt noch mal mit dem Moshen auf, denn hier sind kleine Mädchen und Kinder in der ersten Reihe! Bitte, das ist hier keine Cromags-Show!“

Okay, verstanden, kein Moshen bei Ghost. Wie ist Roky Ericksons „If You Have Ghosts“ eigentlich zu euch gekommen?
Wie die meisten Leute meines Alters kannte ich Roky Erickson lange nicht. Dann haben Entombed – ich glaube, es war 1995 – ein Cover von Ericksons „Night of the Vampire“ gemacht. Und plötzlich haben alle um mich herum seine Platten gekauft – ich eingeschlossen. „If You Have Ghosts“ habe ich schon immer geliebt und es auch schon mal in einer anderen Band gespielt – aber das ist ein Geheimnis! Als dann Ghost entstand, war das immer ein Witz zwischen uns: Wir sollten mal „If You Have Ghosts“ machen!“ Es gab sogar schon eine Version des Songs, die wir einfach in den Ghost-Sound überführen konnten. Tja, und jetzt ist er eine Art Band-Hymne.

Ein perfekter Song für einen romantischen Abend.
(*Lacht*) Ja, aber ironischerweise sind die Lyrics ja ziemlich düster. Sehr traurig, wenn man mal genauer drüber nachdenkt. Vor allem wenn man weiß, was für eine komplexe Person Roky Erickson war. Manchmal ist es schwierig zu verstehen, was er mit bestimmten Zeilen meint. Es ist aber ein sehr schöner Song, und die Botschaft, die wir darin gefunden haben, handelt von Einsamkeit. Ich weiß, dass wir viele unterschiedliche Menschen bei unseren Shows haben. Ein Großteil kommt natürlich aus der Underground-Szene, in der es viele Menschen gibt, die in der Gesellschaft nicht richtig „funktionieren“. Von daher denke ich, dass man diesen Menschen, die einsam sind und ihre Gesellschaft in Musik und Platten und Comics finden, eine Hand reichen muss. Wenn du dich unter die Fans mischst, siehst du einfach viele einsame Menschen. Zum Glück finden sie aber oft zueinander, was ein wirklich herzerwärmendes Gefühl ist. Wenn du Leute triffst, die sich zum ersten Mal bei einer Ghost-Show getroffen haben und jetzt seit fünf Jahren verheiratet sind und ein Kind haben, dann denke ich mir „Scheiße, das ist cool!“ Da hast du es: Es geht um Erinnerungen. Du musst lange daran arbeiten, um eine Band der Erinnerungen zu werden.

Ist das auch dein Ansatz mit Ghost? Menschen unter dem Mantel der Musik zu vereinen? Oder warum bist du Musiker?
Nun, am Anfang hatten wir natürlich nicht ganz so hohe Ziele wie einen Grammy zu gewinnen. Aus musikalischer und ästhetischer Sicht wollten wir einfach nur einen Mix aus unterschiedlichen Musikformen machen. Es gibt sehr viele Bands, die ein großartiges Image haben. Sie sehen cool aus und haben ein cooles Plattencover. Aber oft passt die Musik einfach nicht dazu. Ich will jetzt keine Steine auf andere Bands werfen, aber gerade als passionierter Plattensammler ist es so, dass ich sehr viele Sachen in meiner Sammlung habe, die ich überhaupt nicht gern höre. Und dann gibt es andere Bands, die genau so klingen, wie sie für mich klingen sollen – aber die sehen dann aus wie… uaaargh. Und ich denke mir dann „Fuck, warum kann diese Band nicht wie jene Band aussehen?“ Wir haben für uns immer gesagt „Unsere Band soll wie Demon klingen. Oder wie Angel Witch. Black Sabbath. Aussehen soll sie aber wie Death SS.“

Bitte wer?!
Death SS. Eine italienische Horror-Rock-Band, die ein cooles Image hatte, musikalisch aber leider… nun… nicht besonders toll war (*lacht*). Sie waren nicht KISS, sie waren nicht Alice Cooper. Sie haben viel, aber sie haben nicht alles. Es gibt so viele dieser Underground-Bands, die einen großartigen Look haben und bei denen ich Inspiration bekomme, wenn ich mir einfach nur das Plattencover anschaue. Okay, einen Stein werfe ich noch: Jacula ist auch eine dieser Bands. Sie klingen interessant, aber ich möchte einfach, dass Jacula so grandios klingen wie Devil Doll. Devil Doll klingen einfach nur fantastisch – warum können Jacula nicht so geil sein wie Devil Doll?! Das war unser ästhetischer Antrieb: Lasst uns eine Band machen, die so klingt wie all die Bands, die cool aussehen, aus unserer Sicht klingen sollten. Eine theatralische Rockband mit teuflischen Untertönen und Radio-Refrains – das sind Ghost. Das war unser Antrieb. Und als wir dann immer mehr Leute anzogen, fiel uns auf: „Wow, wir dachten, dass wir nur Lee Dorrians und seine Freunde anziehen würden, Leute die Prog und italienische Horrormusik hören und Plattensammler sind. Dass wir im Prinzip eine Nerd-Band sind. Denn wir sind Nerds. Ich bin ein fanatischer Plattensammler. Die Inhalte waren also so nerdig zusammengestellt. Also dachten wir natürlich, dass wir auch nur Leute anziehen, die auf diese Dinge abgehen. Als wir dann aber mit dem Touren begannen, stellte sich heraus, dass wir eine große Altersspanne anziehen, Mädchen, Jungs, Väter und Mütter, Kinder. Und dann denkt man natürlich darüber nach. Denn wenn du nicht auf das reagierst, was um dich herum passiert… nun, die meisten Bands, die es nie zu etwas gebracht haben, sind die, die nicht mit ihrem Publikum kommuniziert haben.

Ghost Interview:
Ben Foitzik
Datum:
21. Februar 2016
Ort:
Bremen, Schlachthof
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2017

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