#011 Tool: Interview mit Gitarrengott Adam Jones

Juni 2006: Wunder geschehen: Als kleiner Redakteurspimpf eines ambitionierten Stadtmagazins gelingt Ben im Jahr 2006 das Kunststück, ein Tool-Interview mit Gitarrist Adam Jones klarzumachen. Und was lernen wir daraus? Man darf einfach nicht locker lassen. Obwohl Tool, wie sie selbst behaupten, auch nur normale Menschen sind, ist es ein erhabenes Gefühl, in der mit schwarzen Vorhängen und zig Kerzen fast okkult hergerichteten Tool-Umkleide mit Gitarrengott Jones an einem Tisch zu sitzen, während Maynard James Keenan im Hintergrund seine Mails checkt. Da lädt man sich gerne auch mal den Druck auf die schmalen Schultern, das beste Interview der Weltgeschichte zu führen. Angesichts dieses utopischen Ziels ist es tatsächlich gar nicht mal so verkehrt gelaufen. Was Tool dann aber beim anschließenden Gig in der Hamburger Sporthalle mit dem Intestinum ihrer Hörer veranstalteten, hat Ben bis heute noch nicht ganz verdaut. Was die vier Dudes aus Los Angeles erschaffen, ist mehr als einfach nur Musik. Und genau davon handelt auch dieses Tool-Interview.

„Musik ist unkontrollierbar,
sie ist wie eine chemische Reaktion.“
Adam Jones
2006
„Musik ist unkontrollierbar,
sie ist wie eine chemische Reaktion.“
Adam Jones
2006

Tool: Interview mit Gitarrist Adam Jones

Hallo Adam – Danke für die Audienz! Tool sind ja nicht gerade dafür bekannt, dass sie Interviews besonders gut leiden können…
Na ja, nicht leiden können ist eigentlich falsch – es ist nur so, dass das einfach nur total monoton ist. Stell es dir vor: Jeden Tag drei Interviews, jedes Mal ‚Was sind eure Einflüsse? Wie seid ihr zusammengekommen? Blablablabla…’. Es ist nicht so, dass Tool Interviews nicht leiden können, es liegt einfach daran, dass man so gut wie jedes Mal das Gleiche sagen muss. Aber sei davon bitte nicht eingeschüchtert. Es ist dein Berufsrisiko. Wir sind keine Misanthropen oder so.

Wenn ihr als Band das Werkzeug, das Medium seid, durch das die Musik ins Leben kommt…
Das Medium? Du meinst wie ein Spiritist?

Ich fang noch mal anders an: Siehst du Musik als einen Archetypus an?
Sehe ich Musik als einen Archetypus an… hmm, ich denke… ich weiß nicht, ob ich deine Frage verstehe.

Okay, noch mal ganz anders: Was ist für dich Musik? Auf welchem Level ordnest du sie im Leben ein?
Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist definitiv ein großer Teil meines Lebens. Musik ist eine Sprache, eine artistische Sprache. Es gibt keine Regeln oder Grenzen, es gibt freien Ausdruck und all das. Musik ist mein Beruf, sie ist dicht, sogar Dinge, die keinen Sound machen, können Musik sein, wie zum Beispiel Bilder. Das ist für mich Musik. Das geht bei Tool alles irgendwie Hand in Hand miteinander. Aber ich habe den ersten Teil deiner Frage noch immer nicht verstanden – was meinst du mit Medium?

Ich meine damit etwas, das etwas anderes transportiert, wie Fernsehen, Radio…
Oh, yeah, yeah, yeah! Oder wie bei einem Maler. Jetzt verstehe ich es. Ich bin manchmal etwas blöde.

Welche Funktion hat denn Musik für dich? Wenn du sagst, dass Musik eine artistische Form ist – wird die Musik, die wir im Radio Musikfernsehen hören, dieser Funktion noch gerecht?
Nun, die Leute fragen sich immer ‚Was ist Kunst?’ – und es gibt keine Antwort darauf. Jeder hat eine Meinung, es ist so ein breites Thema. Daher sage ich, dass Musik der Kunst sehr ähnlich ist, es ist das gleiche Problem: Was ist Musik? Das hier (*klopft auf den Tisch*), oder wenn jemand an die Tür klopft – Musik? Oder etwas, das kreiert wird und erst später etwas anderes macht – wie das Pflanzen eines Samens und die Pflanze wachsen zu sehen, zu sehen, wie sie weiter wächst, wie ein ganzes System entsteht, die Geometrie, das Schema hinter diesem Wachstum – ist das Musik, oder Mathematik? Ich weiß nicht, wie das im Fernsehen oder Radio ist, das war für mich immer das Gleiche: eine kommerzielle Vertriebsstelle. Als ich ein Kind war, lief es genauso: Es gab beschissene Pop-Songs und es gab gute Musik. Es ist immer noch so.

Adam Jones im Tool-Interview über die Reflexivität von Musik

Wie funktioniert die Band Tool auf menschlicher und auf kreativer Ebene?
Das ist ein bizarres Komplott. Stell dir dich mit deinen drei besten Freunden vor: Es gibt viele Dinge, die ihr teilt, Gemeinsamkeiten, Insider-Witze, diese Sachen. Wir vier kommen wirklich sehr gut miteinander klar. Auf der anderen Seite sind wir aber auch absolut unterschiedliche Menschen, was Politik, Glaube und so weiter anbelangt. Was uns aber alle zusammenbringt, ist das Experimentieren mit Musik und versierte Ansichten zu unterschiedlichen Dingen, die man auf ihre simpelste Idee konzentrieren und dann wieder auffächern kann. Seit Jahrhunderten studiert man schon die unterschiedlichsten Dinge über Kommunikation, Menschen, Kulturen, die unterschiedlichen physischen Formen, in denen Menschen aufwachsen, was man herstellen kann, wie man es herstellen kann und welche Architektur es hat – all das in einer Vibration zu konzentrieren, einer Farbe, einem Symbol – daher kommt unsere Musik.

In der Vergangenheit tauchte bei euch häufig der Begriff ‘Lacrimonologie’ auf – was ist damit gemeint? Selbsterkenntnis durch Schmerz und Tränen?
Das ist, glaube ich, einfach etwas anderes, das wir ergründen – unter den vielen Dingen, die wir erforschen. Es geht darum, das Leben und sich selbst zu studieren, was uns ticken lässt, wie wir alle gleich und doch unterschiedlich sind, was wir von außen sind gegen das, was wir innen sind, all das.

Seid ihr durch die Band diesbezüglich weitergekommen?
Nein, ich denke, das ist etwas, das in allen von uns liegt. Tool ist keine Suche oder so etwas. Wenn du uns kennenlernst, dann denkst du dir ‚Mann, die sind irgendwie witzig, das sind richtige Säcke‘. Wir nehmen zwar das, was wir machen, wirklich ernst; wir nehmen aber uns selbst nicht richtig ernst. Deswegen sieht man uns auch nie in unseren Videos, deshalb tragen wir kein Make-up und geben uns nicht wie Rock-Stars, verstehst du? Wir sind genauso wie ihr – ganz normale Leute. Fasziniert von Kunst, Literatur, Filmen. Selbstzufriedenheit. Wir sind eine schöne Verbindung.

Musik ist also ein Ventil für eure Gefühle?
Auf jeden Fall, Musik ist sehr therapeutisch. Auch wenn ich Schuhe verkaufen würde, würde ich nebenbei immer noch Musik machen.

Aber sicher wollt ihr auch bestimmte Gefühle bei anderen auslösen?
Das ist das kollektive Bewusstsein, das macht man so oder so. Musik ist reflexiv. Es geht mir nicht darum, ob dir meine Musik gefällt. Am Ende geht es mir darum, dass mir meine Musik gefällt. Und wenn sie mir gefällt, wird sie auch irgend jemand anderem gefallen, es ist reflexiv. Es wird jemandem gefallen, ob es einer ist oder eine Million Menschen.

Tool: der Soundtrack zu einem nicht existenten Film

Fühlst du eine Verantwortung als Musiker, als jemand, der eine Plattform hat, über die er andere Menschen beeinflussen kann?
Das ist das, was ich gerade sagen wollte: Es ist sehr selbstsüchtig, es geht mir um mich, es geht mir darum, dass ich damit glücklich bin. Ich denke, so sollte man alles angehen – alles, was man im Bauch oder im Herzen trägt und tun möchte, sollte man tun und hart daran arbeiten, damit man damit zufrieden ist. Wenn man das tut, kommt auch irgendwann der Erfolg. Es geht nicht um ‚Wenn ich das mache, wird es sich verkaufen? Wird es im Radio gespielt werden? Werden es viele Leute kaufen, wenn ich es so und so mache?’ Du machst einfach dein Ding, genau so wie du es haben möchtest. Ich glaube, dass die Leute das honorieren. Stell dir einen großartigen Maler vor, der kein Leben hat, sondern einfach nur in seinem Haus rumhängt, immer am Malen ist. Er schert sich einen Dreck um dich, er macht einfach nur sein Ding. Er macht es nicht, damit er irgendein Rock-Star-Maler wird.

Kann man die Musik von Tool als Katalysator für Introspektion ansehen?
Nein, das tut man doch so oder so. Du kannst nicht kontrollieren, was passiert. Das ist das Schöne am Leben: Das, was du kontrollieren kannst, gegenüber dem, was du nicht kontrollieren kannst. Musik ist unkontrollierbar, sie ist wie eine chemische Reaktion.

Bei Tool funktioniert das doch aber sicher besser als bei „normaler“ Musik?
Hm, ich weiß nicht.

Also wenn ich mich hinsetze und bewusst Tool höre, fängt der Geist nach ein paar Minuten an zu wandern.
Gut. Cool!

Was fühlst du, wenn du deine eigene Musik hörst?
Das Gleiche wie du, mein Verstand fängt an zu treiben. Es ist definitiv ein Ritt, fast wie ein Soundtrack. Es ist so, als ob man einen Film instrumentiert, den es gar nicht gibt. Wenn wir zusammenkommen, schreiben wir. Und schreiben und schreiben und schreiben. Wir erforschen und experimentieren und haben Spaß daran, etwas auszuprobieren, das wir vorher noch nicht ausprobiert haben, ohne dabei an die Außenwelt zu denken. Und dann die besten dieser Experimente zu nehmen, die Pfade, die man gegangen ist, und zu sehen, wie sie alle zusammenpassen – völlig unstrukturiert und frei, das ist berauschend. Wenn wir das Ganze dann live auf der Bühne spielen, denkt man nur ‚Ahhhhh!’, das fühlt sich einfach großartig an.

Gibt es eine besondere Komponente in eurer Musik, die sich nur live entfalten kann?
Definitiv. Genauso wie die Menge dich beobachtet, beobachtest du die Menge. Es ist eine wirklich intime, eigenartige Beziehung. Du inspirierst sie, sie inspirieren dich, das ist gut.

Wie ist das auf riesigen Festivals wie Rock am Ring, wo viele Leute nur wegen der Party hingehen. Stört euch das?
Ich weiß nicht. Nach einigen Shows fragst du dich ‚Mein Gott, haben wir die Leute erreicht?’, nach anderen denkst du ‚Hah, die haben es verstanden und hatten eine schöne Zeit!’. Man kann das nicht kontrollieren, man muss es einfach akzeptieren.

Tool-Interview: Adam Jones über sein Gitarrenspiel

Du hattest früher viel mit Tom Morello von Rage Against The Machine zu tun – ist es ein Zufall, dass beide Bands einen unverwechselbaren Gitarren-Sound haben?
Ich habe Tom auf der Highschool getroffen, wir hatten viele gemeinsame Freunde. Er hat dann die Band Electric Sheep gegründet, benannt nach Philipp K. Dicks Kurzgeschichte „Do Androids dream of electric Sheep?“, das war eine Punk-Band. Die waren einfach fürchterlich. Irgendwann haben sie ihren Bassisten verloren und ich sagte „Ich kann spielen!“. Also habe ich dort angefangen und es hat Spaß gemacht. Wir waren aber ziemlich mies – irgendwann wollten es die Jungs richtig schaffen und ich sagte „Nein, das ist scheiße! Wir sind scheiße! Wir sollten nicht versuchen es zu schaffen!“ Wir sind aber immer Freunde geblieben.

Inwieweit unterscheidet ihr euch in eurem Gitarrenspiel?
Er kommt von einer ganz anderen Gitarren-Schule, was das Riff-Writing anbelangt. Er denkt ‚Trick, Trick, Trick!’, wenn du verstehst, was ich meine. Wie früher bei den Glam-Metal-Bands der 80er, Michael Angelo ‚lülülülülülülülü’ (*imitiert Gitarrenläufe*), der Typ hatte so ein komisches Pedal, alle Metal-Riffs in den 80ern hatten dieses Ding, die haben versucht die Gitarre falsch herum zu spielen oder damit einen bizarren Sound zu machen – und genau so geht auch er an die ganze Sache ran. Aber das ist irgendwie cool, weil es modern ist und er immer noch weiter gehen und sich diese ganzen verrückten Sounds und so etwas ausdenken kann. Tom hatte diese Star-Licks-Tapes, kleine Kassetten mit Randy Rhodes oder Eddie Van Halen, und er hat sich hingesetzt und gesagt „Hier ist die Führung: ‚diddeldididdeldididdeldi’“. Und dann wieder: „Hier ist schon wieder die Führung: ‚nanönünnönäna’“, nur etwas langsamer. Er hatte ein kleines Buch mit Griffschritten und die hat er dann gelernt. Tom hat sich also auf sein Bett gesetzt und diese Star Licks gelernt.

Du hattest einen anderen Ansatz?
Ich kam von einer anderen Schule, mir ging es immer darum, keine Führungen zu schreiben, weil ich das langweilig fand. Frank Zappa zum Beispiel, der war unglaublich, ein großartiger Sänger, aber in jedem Song, immer wieder hat er diese fünfminütigen Führungen auf seiner Gitarre gespielt, und du denkst dir ‚Och nö!’. Mich langweilt das, Tom und ich sind diesbezüglich also sehr verschieden. Führungen sind gut – wenn sie gebraucht werden. Wenn sich der Song in die Richtung entwickelt, dann setzt du es ein, aber nur um seiner selbst willen? Du brauchst es nicht!

Ich kam nur darauf, weil der Sound bei euch beiden sehr wiedererkennbar ist.
Das Ding bei der Musik, besonders bei Tool, ist Disziplin. Vielen Bands mangelt es, glaube ich, an Disziplin. Disziplin ist, zu wissen wann man spielt und wann man nicht spielt, das kann nämlich genau so kraftvoll sein. Bei vielen Bands ist es so, dass der Drummer an einem freien Platz irgendetwas macht um diesen zu füllen. Ich glaube, unsere Welt ist überstimulierend: Du nimmst deinen Neffen mit zu einem Multi-Millionen-Dollar-Film und danach sagt er „Ja, war ganz okay“. Und du denkst dir ‚Was?!? Das war grandios!’, verstehst du? Es gibt überall Überstimulierung. Ich warte schon darauf, dass die nächste Kunst-Bewegung losgetreten wird, die wird sehr minimal sein. Wir werden wieder einen minimalistischen Ansatz zu Musik und Kunst haben. Das wird sehr aufregend sein…aber wer weiß. Es gab lange nichts mehr wie Techno oder Punk oder Metal, keine Musikbewegung. Und ich bin sehr aufgeregt…

…sie auszulösen?
Das oder einfach nur zu erleben, wie sie erfunden wird.

Tool Interview:
Ben Foitzik
Datum:
6. Juni 2006
Ort:
Sporthalle Hamburg
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2006

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