#012 Epica: Interview mit Sängerin Simone Simons

April 2009: Wunder geschehen: Als kleiner Redakteurspimpf eines ambitionierten Stadtmagazins gelingt Ben 2006 das Kunststück, ein Tool-Interview mit Gitarrist Adam Jones klarzumachen. Und was lernen wir daraus? Man darf einfach nicht locker lassen. Obwohl Tool, wie sie selbst behaupten, auch nur normale Menschen sind, ist es ein erhabenes Gefühl, in der mit schwarzen Vorhängen und zig Kerzen fast okkult hergerichteten Tool-Umkleide mit Gitarrengott Jones an einem Tisch zu sitzen, während Maynard James Keenan im Hintergrund seine Mails checkt. Da lädt man sich gerne auch mal den Druck auf die schmalen Schultern, das beste Interview der Weltgeschichte zu führen. Angesichts dieses utopischen Ziels ist es tatsächlich gar nicht mal so verkehrt gelaufen. Was Tool dann aber beim anschließenden Gig in der Hamburger Sporthalle mit dem Intestinum ihrer Hörer veranstalteten, hat Ben bis heute noch nicht ganz verdaut. Was die vier Dudes aus Los Angeles erschaffen, ist mehr als einfach nur Musik. Und genau davon handelt auch dieses Tool-Interview.

„Ich bin nicht Epica.“
Simone Simons
2009
„Ich bin nicht Epica.“
Simone Simons
2009

Epica: Interview mit Sängerin Simone Simons

Hey Simone, wie geht’s dir? Bist du wieder bei 100 Prozent?
Ja, das bin ich. Das mit meiner Krankheit ist ja schon über ein Jahr her, und mittlerweile haben wir auch schon wieder eine erfolgreiche Südamerika- und Europa-Tour hinter uns. Alles lief gut und ich bin wieder in bester Verfassung.

Dennoch warst du seinerzeit lange ausgeknockt, und die Band spielte einige Gigs mit einer Ersatzsängerin. War damals das Bestehen von Epica in Gefahr?
Nein, wir mussten nur ein paar Auftritte canceln und hatten dann die Option, mit Symphony X in Amerika zu spielen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass es mir bis dahin besser gehen würde, da das aber nicht der Fall war, haben wir uns für Plan B entschieden und Amanda Somerville hat mich vertreten. Als ich dann zum Arzt ging, meinte er, dass ich mich ein paar Monate schonen und nicht wieder nach Amerika gehen sollte, weil das Virus wieder ausbrechen könnte. Es ging mir eigentlich schon viel besser, aber ich hatte immer noch dieses Staphylococcus aureus Bakterium, das ziemlich lang auf der Haut bleiben kann. Und wenn du auf Tour bist, dann ist dein Immunsystem eh am Limit, weil du oft nicht gut essen und schlafen kannst und dann anfällig für Krankheiten bist. Ich habe mich also für meine Gesundheit entschieden und gesagt ‚Okay, ich bleibe zu Hause und ihr geht mit einer anderen Sängerin auf Tour’.

Wahrscheinlich ist das Tourleben in gesundem Zustand eh schon hart genug.
Genau so ist es. Und wenn man dann noch krank ist, dann macht einem das auch ein bisschen Angst, weil es einfach nicht lustig ist, von einem Krankenhaus zum anderen zu gehen. Und die Tour an sich macht dann auch keinen Spaß, denn wenn du krank bist, möchtest du einfach nur zu Hause bei deiner Familie und in deinem eigenen Bett sein.

Hattest du Angst, dass du möglicherweise nicht mehr auf den Damm kommen würdest und vielleicht sogar die Musik aufgeben müsstest? Immerhin war das eine ziemlich hartnäckige und langwierige Geschichte…
Das stimmt, aber die Krankheit hatte nichts mit meiner Stimme zu tun – Staphylococcus aureus ist ein Bakterium, das gegen Antibiotika resistent ist und viele Leute auf ihrer Haut tragen. Und wenn man ein anfälliges Immunsystem hat, weil man z. B. gerade eine OP hatte oder so, dann kann man sich Infektionen einfangen. Lungenentzündung, Abszesse auf der Haut, man kann alles Mögliche davon bekommen. Ich hatte damals überall auf meiner Haut Entzündungen. Angefangen hatte das alles mit einem kleinen Pickel am Bein, an dem ich rumgepult hatte – und ehe ich mich versah, hat sich das richtig übel entzündet. Das war eigentlich das einzige Problem, nicht aber, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte oder so.

Unabhängig davon – wäre ein Leben ohne Musik für dich denkbar?
Wenn ich keine andere Wahl hätte, dann würde ich das wohl akzeptieren. Ich habe noch andere Leidenschaften, ich liebe es auch, einfach nur Musik zu hören, ich muss nicht die ganze Zeit selber singen. Außerdem fotografiere ich gerne und male – wahrscheinlich würde ich auch eine gute Tourmanagerin abgeben (*lacht*).

Simone Simons im Epica-Interview über Musik als Therapie

Hat das Singen für dich eine therapeutische Funktion? Betreibst du damit z. B. Frustabbau?
Klar, die Texte sind ja oft sehr persönlich. Du schreibst über dein Leben und Dinge, die du erdulden musst. Für mich geht es in der Musik eigentlich nur um Emotionen, wir sind ja keine Roboter, die Musik schreiben, sondern es kommt alles aus dem Herzen. Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass ich auf dem kommenden Album viel über meine Krankheit schreibe, um diese schlimme Zeit aufzuarbeiten, aber komischerweise handeln keine meiner Texte davon. Stattdessen geht es darum, dass ich jemanden verloren habe, der mir sehr viel bedeutet hat, und die Menschen in meiner Familie immer älter werden – es ist ein wenig dunkler geworden um mich herum und das hat mich inspiriert. Nicht unbedingt im positiven Sinne, aber es hat mich dazu gebracht, über das Leben und den Tod nachzudenken. Davon sind die Texte auf unserem nächsten Album beeinflusst, nicht etwa von meiner Krankheit. Ich weiß nicht, ob ich das nur verdrängt habe und es irgendwann noch mal zum Thema werden wird, oder ob ich das abgehakt habe. Das ist schon eine emotionale Achterbahnfahrt, wenn du krank bist und nicht mehr das machen kannst, was dir wichtig ist. Zum anderen bist du als Sängerin einer Band natürlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Da sind die Fans, die Promoter, die Clubs, und wenn ein einziger Dominostein umfällt – in diesem Fall ich – dann bricht die ganze Maschine auseinander. Das war schon eine Menge Druck für mich und hat mich wahrscheinlich noch kranker werden lassen, weil ich nicht von Anfang an nein sagen konnte. Ich wollte niemanden enttäuschen, also habe ich nicht auf meinen Körper gehört. Letzten Endes mussten wir dann eine Pause machen und erst mal den Stecker rausziehen.

Hast du das bei der ganzen Sache gelernt: rechtzeitig auszusteigen?
Ganz genau. Dennoch ist es immer noch schwierig für mich, etwas abzulehnen, weil man ja eine große Verantwortung hat. Ich glaube aber nicht, dass man nach einer langen Krankheit oft die Möglichkeit haben wird, wieder völlig zu genesen – eines Tages ist es vielleicht zu spät, und das wäre die ganze Sache einfach nicht wert. In diesem Moment musst du dann egoistisch sein und auf deine Gesundheit achten. Wenn du die nicht hast, dann kannst du die schönen Dinge des Lebens auch nicht genießen.

Du hast gesagt, dass du auch noch andere Passionen außer dem Singen hast – aber auf der Bühne zu stehen, würdest du schon vermissen, oder?
Aber sicher! Neulich hatten wir hier in Holland nach fünf Monaten Pause die erste Show mit unserem neuen Gitarristen. Das war eine lange Zeit, in der ich die Bühne echt vermisst habe. Wenn du auf Tour bist und vielleicht sogar zwei oder drei unterschiedliche Touren nacheinander spielst, dann bist du glücklich, wenn du endlich mal wieder nach Hause kommst. Aber das hält fünf Tage und dann willst du schon wieder los, zurück auf die Bühne (*lacht*). Es hängt auch viel vom Publikum ab: Kürzlich haben wir zum Beispiel bei einem Mainstream-Festival gespielt, bei dem viele Leute waren, die unsere Musik nicht kannten – da hast du vorher keine Ahnung, wie die auf dich reagieren werden. Die besten Shows sind einfach, wenn das Publikum richtig durchdreht. Ich liebe es, meinen Kopf zu bangen, obwohl ich momentan fürchterliche Nackenschmerzen habe, weil ich es länger nicht gemacht habe. Aber ich gehöre einfach auf die Bühne, dort fühle ich mich am wohlsten.

Genießt du die Aufmerksamkeit, die dir als Sängerin automatisch zuteil wird? Oder ist das auch belastend?
Na ja, es ist nicht so, dass ich darauf stehe, von jedem beobachtet zu werden. Ob da zehn Leute bei Show sind oder tausend, das ist für mich im Prinzip das Gleiche. Ich spiele einfach nur gerne live, ich tanze gerne, ich bange meinen Kopf und bewege mich zu der Musik, um die Energie auf die Menge zu übertragen und mit ihr zu interagieren. Darauf kommt es mir an. Ich mag es nicht unbedingt, immer im Mittelpunkt zu stehen, da es ziemlich anstrengend ist, wenn ständig irgendjemand etwas von dir will. Wir sind sechs gleichberechtigte Bandmitglieder und haben alle unseren Anteil an der Band. Wenn du Sänger bist, ob männlich oder weiblich, bist du immer auch gleich das Gesicht einer Band und musst die Interviews machen. In meinem Fall schreibe ich ja auch noch die Hälfte der Texte, die andere schreibt Mark. Bei uns hat aber jeder eine wichtige Bedeutung, also versuchen wir auch immer, die Interviews aufzuteilen, damit nicht immer nur Mark und ich das machen. Auch die anderen haben bei uns etwas zu sagen und sind ein wichtiger Teil der großen Firma Epica. Das versuche ich auch immer den Leuten klarzumachen: Ich bin nicht Epica! Vielleicht das Gesicht von Epica, aber die anderen sind der Rest des Körpers (*lacht*), der aus sechs Leuten besteht. Dann gibt es da noch den Tourmanager, das Plattenlabel und jeden Einzelnen, der für Epica arbeitet. Ich bin jetzt keine wirklich schüchterne Person, habe aber manchmal wirklich gern etwas Privatsphäre und versuche daher, eine Schutzblase um mich herum aufzubauen. Ich mache selten Party oder hänge mit den Fans rum, wie das einige aus der Band gerne machen. Für die anderen ist es vielleicht auch leichter, weil nicht gleich jeder ein Foto mit oder ein Autogramm von ihnen haben will. Manchmal ist das ziemlich hart für mich, weil ich gerne Kontakt zu den Fans habe. Aber man muss eben auch nein sagen können, damit man auch mal ein paar Minuten am Tag für sich allein hat um abzuschalten. Wenn wir vor 700 Leuten spielen und jeder nach der Show ein Foto haben möchte, dann reicht die Zeit dafür leider einfach nicht aus.

Da haben wir es wieder: Nein zu sagen ist schwierig.
So ist es. Zumal ich wirklich gerne unsere Fans treffe, die Leute, die unsere Musik hören, uns E-Mails schreiben und unterstützen. Man will ihnen ja auch etwas dafür zurückgeben, was leider nicht immer möglich ist.

Epica-Interview: das Schöne und der Metal

Auf deiner MySpace-Seite steht der Spruch „Aussehen ist trügerisch, perfekt verkleidet. Es gibt mehr als das, was du siehst.“ Was sagt das über Simone Simons aus?
Hahaha! Das ist eine Textzeile aus „Force of the Shore“. Das bedeutet einfach, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Die Gefühle, die du nach außen zeigst, müssen nicht immer mit denen im Innern übereinstimmen. Das trifft auch nicht nur auf mich, sondern auch noch auf viele andere Leute zu. Beurteile ein Buch nicht nach seinem Cover, sagt man wohl auch dazu. Als Sängerin der Band habe ich natürlich ein gewisses Image – ich bin die mit den roten Haaren, aber wie man wirklich ist, zeigt das den Leuten nicht. Und ich möchte auch gar nicht mein ganzes Leben offenlegen und jedem da draußen zeigen, das soll privat bleiben. Ich bin keine Person, die anderen sofort alles preisgibt. Viele Leute wollen Freundschaft mit dir schließen, aber so etwas kann man nicht erzwingen, das muss wachsen – man kann nicht nach einem Treffen Freunde werden. Das finde ich auch bei MySpace immer so merkwürdig: Jeder will dein Freund sein, obwohl man sich überhaupt nicht kennt. Ich habe dort 40.000 „Freunde“, davon sind vielleicht 50 richtige Freunde, mit denen ich mich treffe und Zeit verbringe und die mehr über mich wissen als wie ich singe, wie ich auf der Bühne aussehe und wovon meine Texte handeln.

Du trägst also eine Art Maske, um die Distanz zu wahren?
Das ist einfach nur meine Entscheidung, ein wenig Privatsphäre zu behalten. Man führt ja ohnehin schon ein öffentliches Leben und ist, wie du schon sagtest, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, ob ich einfach schüchtern bin oder nur genau darauf achte, wem ich zeige, wie ich wirklich bin.

Es gibt eine große Szene von Metal-Bands mit Sängerinnen. Lacuna Coil, Nightwish, Within Temptation, Epica und all die anderen. Worin besteht deiner Meinung nach die Faszination der Verbindung aus Schönheit und Metal?
Nun, es gibt ja auch genug Sängerinnen, die grunzen können wie Tiere (*lacht*), bei denen bezieht sich die Schönheit dann wohl nur auf ihr Erscheinungsbild. Heutzutage gibt es aber so viele Metal-Bands mit Sängerinnen, dass es schwer ist, sie als ‚Band mit Sängerin’ zu kategorisieren, das könnte man ja dann auch mit ‚Band mit Sänger’ machen. Wenn du dir die Pop-Szene anguckst, dann gibt es dort ja auch männliche und weibliche Sänger, warum also nicht im Metal? Vor fünf oder sechs Jahren gab es wohl noch nicht so viele Sängerinnen in der Metal-Szene, aber heutzutage ist das Verhältnis doch schon fast 50 zu 50. Ich denke – wenn ich für die weiblichen Fans sprechen kann –, dass diese heute einfach ein wenig mehr Identifikationsfiguren haben. In die männlichen Sänger können sie sich natürlich verlieben, aber ich glaube, dass es für ein Mädchen auch toll ist eine Sängerin zu haben, die für sie eine Inspirationsquelle sein kann. Ich denke, dass es jede Menge großartige Bands da draußen gibt, die eine Sängerin haben. Mir persönlich ist es völlig egal, ob Sänger oder Sängerin. Meine Lieblingsband ist übrigens Opeth, ich habe aber früher auch Nightwish gehört und wurde dadurch inspiriert. Und schau, wo wir jetzt sind: Epica werden immer größer und bekannter in der Szene. In den nächsten Jahren wird sich das meiner Meinung nach auch fortsetzen – die Leute, die von Within Temptation, Lacuna Coil und The Gathering beeinflusst wurden, werden bald ihre eigenen Bands haben. Das ist einfach eine natürliche Entwicklung in der Musik und demnach auch in der Metal-Szene.

Ich habe gelesen, dass dich damals ein Nightwish-Album zum Singen inspiriert hat. Hast du eine Bewerbung rausgeschickt, als sie Tarja rausgeschmissen haben?
Nein, da habe ich nicht einmal dran gedacht! Das war ziemlich lustig, als wir nach Finnland gefahren sind und beim Tuska-Festival gespielt haben. Dort haben wir Tuomas von Nightwish getroffen und ein bisschen zusammen im Presse-Bereich abgehangen. Und er hat zu mir gesagt ‚Pass auf, morgen steht in den ganzen Klatschmagazinen, dass ich mit dir darüber gesprochen habe, dass du unsere neue Sängerin werden sollst“. Ich denke, dass sie mit Anette, die vorher eher unbekannt in der Szene war, eine gute Wahl getroffen haben. Sie ist völlig anders als Tarja – ich glaube, viele Leute haben erwartet, dass Floor Jansen oder ich der bekannte Tarja-Ersatz werden würden, weil wir beide klassisch singen können. Sie haben sich aber absichtlich gegen so eine Lösung entschieden. Mir wurde oft die Frage gestellt, ob mich Tuomas gefragt hätte – er hat es nicht. Wahrscheinlich wussten einige, dass Tuomas Epica mag und Fan unseres letzten Albums war, ich glaube aber nicht, dass er einer anderen Band die Sängerin ausspannen würde, um Tarja zu ersetzen, weil sie sie dann ständig mit ihr vergleichen würden. Das Problem hat Anette ja so oder so. Sie muss wirklich stark sein, dass sie die ganze Kritik von vielen Fans erträgt. Ich denke, dass das nicht fair ist – sie hat eine faire Chance verdient.

Und sie hat einen guten Job gemacht.
Genau, außerdem ist sie auch live super, ich habe sie schon ein paar Mal gesehen.

Simone Simons über „The Classical Conspiracy“

Nightwish sind außerordentlich erfolgreich und steigen stets hoch in den Charts ein. Warum sind Epica noch nicht dort, wo sie jetzt sind?
Aus irgendeinem Grund steht das Mainstream-Radio nicht so auf Epica – wir haben denen schon viele Besuche abgestattet, Akustik-Sets gespielt und Interviews gegeben. Doch dabei ist nichts rausgesprungen, ich glaube, dass unsere Musik einfach immer noch ein bisschen zu hart ist, schließlich haben wir ja auch Grunzen mit dabei, was vielleicht etwas schwerer zugänglich ist. Das ist natürlich traurig, andererseits weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine große Band werden will. Es ist nicht so, dass wir keine Ambitionen hätten, größer und eine wirklich professionelle Band zu werden. Aber wie schon gesagt, die Reaktionen, die man bekommt, sind jetzt schon überwältigend: Auf der letzten Tour in Südamerika brauchten wir Security, weil die Fans einfach überall waren, die stehen dann plötzlich bei dir vor dem Hotelzimmer. Und du musst bedenken, dass das wirklich der einzige Ort ist, an den du dich zurückziehen kannst, wo es ein wenig Privatsphäre gibt und du Sachen machen kannst, bei denen vielleicht nicht jeder zugucken soll (*lacht*). Das war einer der Gründe, warum Anette einen Zusammenbruch hatte und weinen musste, habe ich gehört – das kann ich völlig nachvollziehen. Bei Epica war es ja schon verrückt, aber bei Nightwish muss das noch mindestens zehnmal schlimmer sein. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen könnte. Ich mag meine Intimsphäre, ich will nicht von Fotografen verfolgt werden oder in Klatschmagazinen sein, das ist nicht mein Ding.

Lass uns über euer Live-Album „The Classical Conspiracy“ reden, das beim Internationalen Opern-Festival im ungarischen Miskolc aufgenommen wurde. Dort habt ihr eurem Namen ja wirklich alle Ehre gemacht, das Ganze ist richtig bombastisch, gewaltig und episch ausgefallen. Kannst du beschreiben, was das für ein Gefühl war, mit einem 40-köpfigen Orchester und 30-köpfigen Chor zusammenzuspielen?
Das war natürlich ein einmaliges Erlebnis für uns, weil wir noch nie so eine große Show gespielt hatten. Live ist bei uns ja nie 100 Prozent live, weil wir immer die Backing Tracks vom Album benutzen, sonst könnten wir weder Chor noch Orchester bei unseren Live-Shows haben. Wir packen die 70 Leute immer in den Computer, dort leben sie (*lacht*), und wir haben sie für diese eine Show in Ungarn rausgeholt. Wir wollten schon immer so ein Konzert spielen, und als wir gefragt wurden, dort zu spielen, haben wir sofort zugesagt. Dann haben wir uns angeschaut, welche Epica-Songs und welche klassischen Stücke wir dort live spielen wollten, und das war natürlich eine harte Entscheidung, die Songs auszuwählen, weil jeder seinen dabei haben wollte. Ich glaube, wir haben ein wirklich cooles klassisches Set zusammengestellt. Die Show an sich fand jetzt nicht vor 100.000 Leuten statt, sondern war eigentlich ziemlich klein, ziemlich intim. Bevor es aber dazu kam, mussten viele Vorbereitungen getroffen werden, wir mussten die klassischen Stücke umarbeiten, die Arrangements der Epica-Songs für das Orchester umschreiben und eine Woche lang jeden Tag proben. Das hat, glaube ich, alles in allem etwa ein halbes Jahr an Vorbereitungszeit gekostet. Wir wollten eigentlich auch DVD-Aufnahmen davon machen, weil das so etwas Besonderes für uns war. Wir hatten dann aber keine Zeit mehr, uns darum zu kümmern, weil wir so lange an den Songs rumgeschrieben hatten. Außerdem gab es auch kein Budget dafür. Nun ist eben die Live-CD unsere besondere Erinnerung daran.

Während des Konzerts sagst du „Genau so soll die Musik von Epica klingen“. Könnt ihr nach diesem Erlebnis jetzt überhaupt noch normale Konzerte spielen?
(*Lacht*) Ich weiß es nicht – das soll wohl besser etwas Besonderes bleiben. Wenn man das jedes Mal machen würde, würde es ja die Magie verlieren. Wir haben ja jetzt die CD und können uns die immer wieder anhören, wenn wir nostalgisch werden oder so. Ich bin mir aber sicher, dass wir irgendwann noch mal so etwas machen werden, noch größer. Ich mag aber auch die normalen Epica-Shows – wir machen das seit sieben Jahren und haben uns auch daran gewöhnt. Wir versuchen dann eben immer zu sechst auf der Bühne ein ganzes Orchester zu kompensieren. Es gibt Epica-Fans, die das Konzert sehr enthusiastisch aufgenommen haben und meinten, das wäre noch gewaltiger als sonst gewesen. Schade, dass nicht so viele dort sein konnten, bis auf die Hardcore-Fans, die dafür durch ganz Europa nach Ungarn gereist sind. Das war natürlich schön, die dort in der ersten Reihe stehen zu sehen. Die Halle war ja bestuhlt und jeder sollte sitzen, aber die Epica-Fans hat es irgendwann nicht mehr in den Sitzen gehalten und sie sind nach vorne gestürmt um Videos und Fotos zu machen und einfach näher dran zu sein. Das war schon witzig: Erst saßen sie auf ihren Stühlen, und dann sind nach ein paar Songs plötzlich alle nach vorne gestürmt.

Epica: Wanderer zwischen den Musikwelten

Epica haben auch eine leichte Verbindung zur Gothic-Szene – vor ein paar Jahren habe ich euch mal beim M’era Luna Festival gesehen. Ist das ein Vorteil für euch, ein bisschen zwischen den unterschiedlichen Szenen zu wandeln oder gibt’s da auch negative Reaktionen? Ich meine, Wacken und M’era Luna trennen ja Welten.
Beim Wacken habe ich bislang nur einmal mit Kamelot gespielt, aber als ich auf die Bühne kam, waren die Reaktionen eigentlich sehr gut. Ich hoffe, dass wir dort dieses Jahr auch gutes Feedback bekommen. Ich mag es, unterschiedliche Festivals zu spielen – unser letztes war ja wie gesagt Mainstream, und da haben ein paar große holländische Bands gespielt, die ich schon als kleines Baby kannte, ein paar alte Rocker waren das. Das war lustig, zwischen diesen Leuten zu sein. Es ist eine größere Herausforderung, das Mainstream-Publikum zur Metal-Szene zu bekehren. Beim Graspop sind auch sehr viele Bands, die ich mag, insofern gucke ich mir auch dort einige Shows an. Und die Leute beim M’era Luna kleiden sich einfach nur fantastisch, das sind allesamt wandelnde Kunstwerke. Ich persönlich bin nicht so extrem und tendiere eher zur Metal- und Rock-Seite, aber es gefällt mir, weil es eine ganz andere Kultur ist. Es gibt viele verschiedene Kulturen innerhalb der Metal-Szene, und ich mag es, ein Teil von allen von ihnen zu sein. Ich höre nicht wirklich richtige Gothic-Musik; wir sollten wohl auch keine Diskussion darüber anfangen, was Gothic und was Metal ist, weil das doch alles irgendwie verschwimmt. Lacrimosa – das ist für mich Gothic. Die haben ein paar tolle Songs, die ich mir gerne anhöre. Epica hingegen sind vielleicht zu zehn Prozent Gothic, vielleicht wegen des Chors und Orchesters. Wir haben aber auch viel Grobheit und Grunzen dabei, das hört man nicht so oft in der Gothic-Szene, wenn ich mich nicht irre. Auf der anderen Seite glaube ich, dass die alten Tristania-Alben auf eine Art Gothic waren, obwohl sie heute eher in die Metal- und Rock-Richtung gehen. „Beyond the Veil“ war eins der ersten Alben, das ich mir damals mit 14 oder 15 gekauft habe. Nightwish, Tristania, Old Man’s Child, Emperor, Mystic Circle, Cradle of Filth und Dimmu Borgir, mit diesen Bands habe ich damals angefangen. Inzwischen hat sich das ein wenig weiterentwickelt. Ich mag Opeth, immer noch Nightwish, aber auch Muse und sogar ein bisschen Pop-Musik, muss ich gestehen (*lacht*). Ich höre eigentlich alles, bin aber weniger extrem geworden.

Eine Begleiterscheinung des Älterwerdens?
Vielleicht bekomme ich ja irgendwann mal eine Midlife Crisis und kehre wieder zu dem zurück, womit ich angefangen habe. Als menschliches Wesen bist du auf einer Reise, und genau so verhält es sich mit dem Musikgeschmack. Einige Bands behältst du für den Rest deines Lebens, andere hörst du nur in bestimmten Phasen. Als ich klein war, hat mein Dad immer ABBA gehört, aber als Teenager hasst man ja grundsätzlich alles, was die Eltern mögen. Heute kann ich ehrlich zugeben, dass ich eine Zeitlang einen Klingelton von ABBA hatte.

Die haben ja auch große Musik gemacht.
Yeah, das ist ein bisschen wie schwedischer Schlager auf Englisch. Mein Klingelton war „Head over Heels“, weil ich davon immer gute Laune bekommen habe.

Simone im Epica-Interview über die niederländische Metalszene

Im Moment seid ihr gerade im Studio und nehmt euer fünftes Album auf – läuft alles nach Plan? Was können wir erwarten?
Ich habe gerade meine Solo-Vocals aufgenommen und muss später noch die Hintergrund-Vocals und den anderen Rest einsingen. Im Moment sind Mark und Isaac, unser neuer Gitarrist, im Studio und sie nehmen die Gitarren und die Grunts auf. Soweit läuft alles gut und wir planen, das Album im Herbst zu veröffentlichen. Es wird „The Divine Conspiracy“ sehr ähnlich sein – es hat Härte, wir sind nicht weicher geworden oder so. Das frische Element ist unser neuer Gitarrist, der dazukam, als die meisten Songs schon geschrieben waren, und dann noch einige Parts umgeschrieben hat. Mark hat ihm gesagt ‚Wenn dir was Besseres einfällt, dann schreib es um und wir gucken, was dabei herauskommt’. Ich denke, das ist die frische Brise bei Epica, und ihr Name ist Isaac (*lacht*).

Habt ihr eigentlich eine persönliche Fehde mit God Dethroned oder wieso zieht ihr immer deren Mitglieder ab?
(*Lacht herzhaft*) Nein, das machen wir gar nicht! Im Prinzip war das nur bei Ariën so: Er war seinerzeit bei God Dethroned und Session-Musiker bei uns, für die Touren und so. Mit der Zeit hat ihm unsere Band und die Musik immer besser gefallen, und als sich irgendwann die Touren von God Dethroned und uns überschnitten haben, hat er sich dann für Epica entschieden. Isaac aber hatte God Dethroned schon verlassen, bevor wir ihn gefragt haben, wir haben ihn also nicht gestohlen.

Zum Abschluss vielleicht ein Wort zur niederländischen Metal-Szene an sich: Ihr habt ziemlich viele Symphonic-Metal-Bands – woher kommt dieser Hang zum epischen, symphonischen Metal bei euch?
Vom Wasser!

Also Wasser haben wir hier in Deutschland auch.
Das niederländische Wasser ist aber das beste! Nein, Metal-Bands mit weiblichem Gesang sind hier schon länger ziemlich populär, wie in Finnland. Und viele Fans wurden von der Musik inspiriert und haben dann etwas Ähnliches gemacht. Und bevor man sich versieht, sprießen viele erfolgreiche Bands aus dem Boden. Keine Ahnung, das ist wohl einfach unsere Musikszene, vermute ich.

Pioniere waren bei euch dann The Gathering?
Ja, The Gathering, Within Temptation, After Forever, die es ja leider nicht mehr gibt. Orphanage gehören auch zu meinen Lieblingsbands, aber auch die sind ja nicht mehr da.

Also müsst ihr die Flagge hochhalten?
Jawohl, wir versuchen, den symphonischen Metal mit Frauengesang am Leben zu halten.

Ist es für euch nicht schwierig, aus diesem Wust aus ähnlichen Bands herauszustechen?
Anfangs hatten wir damit ein paar Probleme. Viele Fans von After Forever haben uns mit ihnen verglichen, weil Mark ja vorher dort gespielt hat. Aber beim zweiten, dritten Album hatte sich das erledigt. Ich denke, wir haben eine gute Mixtur: Wir haben einige gute Balladen, harte Songs, Grunzen, Frauengesang, gute Orchestrierung, Chöre, eingängige und komplizierte Passagen. Am besten fragst du unsere Fans, was uns einzigartig macht. Wir machen ehrlich gesagt einfach unser Ding und hören nicht darauf, was die anderen machen.

Epica Interview:
Ben Foitzik
Datum:
April 2009
Ort:
Phoner
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2006

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