April 2009: Da denkt man, man bekommt einen wortkargen Nordmann ans Rohr, dem man Fragen im Sekundentakt in den Hörer bellen muss, damit überhaupt irgendwas Vernünftiges dabei herausspringt – und dann labert einem dieser Esa Holopainen im Amorphis-Interview 40 Minuten lang ein saftiges Elchkotelett an die Kotelette. Das neunte Amorphis-Album, „Skyforger“, scheint jedenfalls sämtliche Kreativknoten bei den Jungs aus dem Land der tausend Tümpel gelöst zu haben und ist für The Hesher ein ähnliches Husarenstück wie das 13 Jahre alte Opus Magnum „Elegy“. Episch, wuchtig, grandios – Amorphis sind endlich zurück von ihrer Odyssee durch die tausend Klangmeere dieses Kosmos. Danke für dieses große Stück Musik!
Amorphis: Interview mit Gitarrist Esa Holopainen
Hallo Esa! Wie sieht’s aus, hast du schon ein wenig Distanz zu eurem neuen Werk und seinem Entstehungsprozess aufbauen können?
Nun, der Songwriting-Prozess begann vor etwa einem Jahr, als wir noch Shows für „Silent Water“ gespielt und dieses Album promotet haben. Wir entschieden uns damals, in den Proberaum zu gehen und zu schauen, ob etwas dabei herauskommt. Schon vor den Festivalshows im vergangenen Sommer hatten wir viele der Songs fertig und haben uns dann entschieden, das Studio für Ende des Jahres zu buchen. Nach dem Motto: Scheiß egal, was passiert, lasst uns einfach ins Studio gehen und ein Album aufnehmen. Glücklicherweise waren wir in großartiger Stimmung um Musik zu schreiben, die Chemie in der Band war einfach hervorragend. Wir haben immer mehr Uptempo-Songs gemacht und mehr und mehr melodiöse Songs tauchten auf, was im Prinzip auch ein Thema dieses Albums ist. Es ist viel melodischer als zum Beispiel „Silent Waters“.
Du sagst, dass die Stimmung gut war innerhalb der Band. Wie wichtig ist so etwas dafür, ein gutes Album zu machen? Habt ihr je eins aufgenommen, bei dem die Stimmung alles andere als gut war?
(*Lacht*) Ja, die gab es wohl! „Far From the Sun“ ist so ein Album. Da waren gute Songs drauf, aber die ganzen Umstände dieser Zeit spiegelten sich im finalen Resultat: Pasi hatte unter Motivationsproblemen zu leiden, und jeder von uns konnte das auf dem Album hören. Das war auch das einzige Album, das wir für die EMI gemacht haben, was mehr oder weniger ein Desaster war (*lacht*). Aber von da an gab es nur noch einen Weg, und der ging nach oben! Alles hat sich wieder zusammengefügt, als wir unseren neuen Sänger Tomi gefunden hatten: Wir haben Musik für „Eclipse“ geschrieben und sind wieder zu Nuclear Blast zurückgegangen. Vieles veränderte sich zum Guten – das sieht man auch daran, dass „Skyforger“ das dritte Album ist, das wir in der gleichen Besetzung eingespielt haben. Auf jedem Album vor „Eclipse“ hatte es immer irgendeinen Line-up-Wechsel gegeben, was man immer auch im Endergebnis gehört hat. Mit Tomi hat die Band nun eine neue Ära eingeläutet und ihre Leidenschaft fürs Musikmachen neu entdeckt. Wir genießen jetzt wieder das, was wir tun, jeder steckt sein ganzes Herzblut in die Musik, und das kann man eindeutig beim neuen Album hören.
Ich wollte das ohnehin fragen: War Tomis Ankunft in der Band wie eine Art Wiedergeburt für Amorphis, die neue Energien freigesetzt hat?
Auf jeden Fall. Wenn ich an die Zeit vor Tomi zurückdenke, an das letzte Jahr mit Pasi, dann war das damals eine vollkommen andere Band. Es ist unglaublich, wie eine einzelne Person eine Band zum Positiven hin beeinflussen kann. Als er in die Band kam, wollte er, dass wir ein paar der alten Songs spielen, weil er die alten Amorphis-Alben liebte. Also haben wir ein wenig geprobt und Songs gespielt, die wir jahrelang nicht angerührt hatten – und Tomi hat sie hervorragend gesungen. Es war schön, die Leidenschaft in seinen Grunz-Parts zu hören. Sofort beschlossen wir, dass es genau darum in dieser Band geht, und haben die Songs wieder in unsere Setlist aufgenommen. Und bei jedem der folgenden Gigs waren wir dann begeistert, dass wir tatsächlich wieder einen Sänger hatten, der grunzen will und es genießt, auf der Bühne zu stehen. Und Schritt für Schritt sind wir nun zu unserem dritten Album mit ihm gekommen, auf dem er einen absolut hervorragenden Job gemacht hat.
„Silver Bride“: Ist das schon Popmusik, Amorphis?
Mir kommt es fast so vor, als kämen Amorphis mit „Skyforger“ von einer 13-jährigen Reise zurück, da das Album für mich der würdige Nachfolger von „Elegy“ ist. Siehst du eine Verbindung zwischen diesen beiden Alben?
Ja und nein. Du bist jedenfalls nicht der Erste, der das sagt. Es gibt tatsächlich ein paar Parallelen zu „Elegy“: Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir die Songs für „Elegy“ geschrieben und das Album aufgenommen haben – es war schließlich das Album unserer ersten Ära, das das bis dato melodischste war. Wir hatten damals unheimlich viel gespielt und geprobt, und so war es jetzt auch wieder bei „Skyforger“. Wie du schon sagst, es gibt viele ähnliche Elemente, das Album könnte tatsächlich eine natürliche Weiterführung von „Elegy“ sein. Thematisch allerdings sieht es ein wenig anders aus: Der Vorgänger „Silent Waters“ hatte eine dunklere Geschichte, in der ein Mann in die Unterwelt hinabsteigt. „Skyforger“ hingegen erzählt die Geschichte des alten Schmiedegottes, der als Erschaffer der Götter galt und von dem die Leute glaubten, dass er den Himmel und die Erde erschaffen hatte. Das Album handelt also viel vom Erschaffen, viele der Geschichten sind ziemlich bombastisch und massiv, von daher sollten auch die Songs auf dem Album sehr gewaltig sein – wir wollten eine absolut epische Atmosphäre auf diesem Album haben. Auch in dieser Beziehung ist es „Elegy“ tatsächlich ziemlich ähnlich.
Hörst du dir eure alten Alben manchmal noch an? Ist das so, als würde man ein altes Fotoalbum durchblättern?
So ähnlich. Dann und wann, wenn man einen neuen Song zum Set hinzufügt, geht man auch die alten Alben noch einmal durch. Vor Kurzem habe ich mir die „Elegy“ noch einmal angehört und finde sie immer noch ziemlich attraktiv. Einige Sachen würde man heute sicherlich anders machen, aber heute ist heute und das war vor 13 Jahren. Damals haben alle noch für Tapes aufgenommen und es gab überhaupt kein digitales Equipment. Das war alles ziemlich pur damals. Es beschert dir einfach ein paar gute Erinnerungen, wenn du dir die alten Alben noch einmal anhörst. Du erinnerst dich an Dinge und Gefühle, die du längst vergessen hattest. Außerdem sind auf „Elegy“ ein paar unserer großartigsten Songs zu finden – ein Stück, das ich definitiv noch einmal live spielen will, ist der Titeltrack „Elegy“. Das ist ein großartiger Song. Vielleicht machen wir das ja eines Tages noch mal.
Die erste Single des Albums ist „Silver Bride“ – ein Track, der fast schon poppig ist und meiner Meinung nach auf allen Radiosendern der Welt rotieren sollte. Habt ihr den Song wegen seines Pop-Appeals als erste Single ausgewählt?
Zum größten Teil ja. Wir haben einigen Leuten in unserem Umfeld ein paar der Songs, von denen wir dachten, dass sie sich als Single eignen würden, vorgespielt, und bei „Silver Bride“ hat jeder sofort gesagt ‚der funktioniert als erste Single!’. Heutzutage Singles rauszubringen ist eigentlich ein bisschen bescheuert. Ein Gedanke, eine Single in Finnland rauszubringen, war, dass so etwas natürlich ein Sammlerstück ist. Letzten Endes ist der Hauptgedanke hinter einer Single aber, das Album zu promoten, indem man Airplay bekommt. Ich habe heute gehört, dass unser lokales Radio Energy, das sonst nur Dance Music sendet, tatsächlich „Silver Bride“ gespielt hat. Ich habe keine Ahnung, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht – jetzt ist es bestimmt wieder der totale Sellout (*lacht*). Andererseits ist es das allererste Mal, dass sie irgendetwas mit Grunzen spielen, insofern können wir schon ein wenig stolz sein. Aber die Finnen sind ja eh alle nicht ganz dicht (*lacht*).
Amorphis im Interview: Musik aus dem Herzen
Du hast gesagt, dass das neue Album nicht so düster ist wie „Dark Waters“ – im Album-Info steht aber, dass es ein düsteres Album sei. Wie würdest du die Grundstimmung des Albums denn nun beschreiben? Welche Gefühle wollt ihr beim Hörer auslösen?
Vieles hängt von der richtigen Reihenfolge der Songs ab. Es ist enorm wichtig, eine Art Dramatik auf dem Album zu haben: Es muss intensiv beginnen, kann dann ein paar launischere Parts haben und gibt dir zum Schluss den finalen Kick – dadurch fesselst du den Hörer und hast zu jeder Zeit seinen Fokus auf dem Album, was bei einem Konzeptalbum natürlich umso wichtiger ist. Du musst erreichen, dass der Hörer dein Album von Anfang bis Ende durchhören will, und dazwischen musst du ihm natürlich ein paar besondere Erlebnisse präsentieren. Wir dachten, dass der erste Song, „Sampo“, vielleicht nicht der komplexeste Song des Albums ist, in ihm aber ziemlich viele Dinge passieren. Es ist auch nicht der kürzeste Song und insofern ziemlich schwierig am Anfang des Albums. Wenn wir uns das Album jetzt anhören, finden wir, dass das tatsächlich der perfekte Song ist, um in das Album einzusteigen. Quer durch unsere Musik wollen wir verschiedene Gefühle und Stimmungen vermitteln: Einige Songs sind eher emotional, andere härter und eingängiger – das sind die Elemente, die uns wichtig sind und die wir mit unserer Musik anbieten wollen.
Irgendwo hast du gesagt, dass „Skyforger“ euer bislang musikalischstes Album ist – wie hast du das gemeint?
Aus meiner Perspektive ist es unser musikalischstes Album. Ich für meinen Teil – vielleicht war das bei den anderen auch so – musste auf diesem Album viel mehr spielen als auf denen davor. Nur bei „Elegy“ war es damals ähnlich. Ich musste jetzt sogar einige Parts richtig üben – es war nicht mehr so, dass man in den Proberaum geht und die neuen Songs einstudiert, sondern man musste in einigen Phasen wieder richtig hart trainieren. Es gab also viel Arbeit zu tun – bei einigen Songs muss ich sogar permanent spielen, entweder die Melodien oder Bass oder was auch immer. Es gibt Stücke, bei denen ich einfach keine Verschnaufpause bekomme (*lacht*), und das macht das Ganze viel anspruchsvoller. Und wenn so ein Album dann fertig ist und man zurückblickt, dann merkt man erst, was man geleistet hat und dass es verdammt harte Arbeit war. Für dieses Album haben wir außerdem insgesamt 17 Tracks aufgenommen, man musste also allein schon durch die Masse der Songs viel mehr üben als bei „Silent Waters“.
Ich denke, eine eurer großartigsten Eigenschaften ist, dass euer Sound einfach unverwechselbar ist – was nicht wirklich viele Metal-Bands von sich sagen können.
Das ist ein tolles Kompliment – das beste Feedback, das du als Band bekommen kannst. Wir hatten schon immer unsere ganz eigene Art, Musik zu machen und Songs zu arrangieren. Wir haben eine Gitarre, die permanent irgendetwas spielt, es gibt zu jeder Zeit irgendwelche Melodien. Selbst dann, wenn man sie nicht braucht, gibt es eine unterschwellige Melodielinie. Außerdem verbinden wir immer die Keyboard- und Gitarren-Melodielinien. Das sind wohl die Elemente, die unseren Sound so unverwechselbar machen.
Klingt vielleicht etwas pathetisch, aber ist er auch deswegen so einzigartig, weil die Musik tief aus euren Herzen kommt?
Ich glaube, dass da etwas Wahres dran ist. Ich höre es, wenn ich etwas gemacht habe, hinter dem ich nicht zu 100 Prozent stehe. Ich habe eben schon das Album „Far From the Sun“ angesprochen, und bei dem kann ich ganz ehrlich sagen, dass wir das viel besser hätten machen können. Und dann wiederum gibt es Alben, in die du all dein Herzblut und all deine Mühen gesteckt hast, was eigentlich auf alle unsere Alben bis auf „Far From the Sun“ zutrifft. Ich mag es zwar, es ist ein gutes Album – aber nicht so gut, wie wir es hätten machen können.
Esa Holopainen im Amorphis-Interview über das Kalevala
„Skyforger“ nimmt mal wieder auf euer Nationalepos Bezug – im Gegensatz zum Vorgänger geht ihr hier aber nicht in die Unterwelt, sondern in den Himmel. Absicht?
Nun, „Skyforger“ bezieht sich ja auf den Charakter, von dem das Album handelt, der alte Schmiedegott. Das ist eine der wichtigsten Figuren des Kalevala, und es war einfach an der Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Die Leute glaubten, dass er den Himmel und die Erde geschmiedet habe, es gibt viele Geschichten über ihn im Kalevala. Die Geschichte, die wir erzählen, handelt vom Erschaffen und davon, sich bösen Geistern zu stellen – die typischen Kalevala-Geschichten eben. Durch den Albumtitel wird diese Figur schon als Himmelsschmied beschrieben, und das Album-Cover, der Baum des Lebens, steht für die Himmelsordnung – in den Wurzeln des Baumes kannst du ein Feuer sehen, die Feuerstätte des Schmiedes. Travis Smith hat mal wieder ein tolles Artwork entworfen, dessen Aufbau im Booklet noch mal aufgegriffen wird.
Du hast das wahrscheinlich schon mal gehört: Euer Cover sieht dem von A Static Lullabys „Faso Latido“ doch schon ziemlich ähnlich, oder?
Ja… äh, Travis hat mir dazu eine E-Mail geschickt, als sich das herausgestellt hat – wir haben uns dann aber entschlossen, mit diesem Coverartwork weiterzuarbeiten, weil es wirklich völlig anders als das von A Static Lullaby ist. Es ist ja ohnehin nicht die originellste Idee – den Lebensbaum findest du in vielen verschiedenen Mythologien. Es hat natürlich die gleichen Farben, aber um ehrlich zu sein hätte mein fünfjähriges Kind das Cover von „Faso Latido“ malen können. Das hat uns also nicht wirklich gestört.
Von Weitem sieht euers ein wenig aus wie ein Atompilz…
Das tut es, auf jeden Fall!
Hat das ganze Ding mit dem „Skyforger“ auch eine Verbindung zur Situation unseres Planeten, nach dem Motto: Wir sind die Schmiede unseres Himmels und dafür verantwortlich, wenn das Ozonloch am Arsch ist?
Damit liegst du gar nicht so verkehrt. Ich habe auch schon an diese Doppelbedeutung gedacht. Es wurde nicht absichtlich so gezeichnet, dass es wie ein Atompilz aussieht, aber man kann das Cover unterschiedlich interpretieren – zum Beispiel mit dem Atompilzeffekt – und wir wollten das beibehalten.
Du hast gesagt, dass jetzt die Zeit reif war, die Geschichte vom „Skyforger“ zu vertonen. Warum gerade jetzt?
Er ist nun mal einer der Hauptcharaktere des Kalevala. Es gibt den alten Zauberer Väinämöinen, dann noch Kullervo, eine glücklose Person, die wir auf „Eclipse“ behandelt haben, und eben den Schmied. Wenn man über das Kalevala redet, muss man irgendwann auch über ihn reden. Wir haben das vorher noch nie getan, von daher hatten wir nun das Gefühl, dass wir auch ihm endlich ein Album widmen sollten. Den weisen Zauberer Väinämöinen haben wir uns noch aufgehoben, den müssen wir irgendwann unbedingt noch einmal abhandeln.
Das Kalevala scheint eine reiche Quelle zu sein.
Es ist eine reiche Quelle, und ich denke, dass es auch eine zeitlose und endlose Quelle ist. Wir haben bereits ein paar lausige Alben gemacht in Bezug auf Kalevala-Lyrics. „Tuonela“ und „Am Universum“ waren zum Beispiel sehr vom Kalevala beeinflusst, aber nur von den darin enthaltenen Überzeugungen. Von „Eclipse“ über „Silent Waters“ bis nun zu „Skyforger“ wollten wir wieder mehr zum Geschichtenerzählen übergehen. Ich weiß nicht, wohin es uns als Band irgendwann mal führen wird, aber ich bin mir definitiv sicher, dass das Kalevala immer in unserer Musik und in den Texten enthalten sein wird. Es ist zu einem wichtigen Teil von Amorphis geworden. Anfangs war es nur so eine Idee, nach dem Motto ‚Okay, lasst uns ein Album über das Kalevala machen’, aber später hat es uns mehr und mehr gefesselt und gehört inzwischen einfach zu Amorphis.
Vertont ihr diese Geschichten auch deswegen, um so die finnische Kultur in die Welt zu tragen?
Das ist nicht der Hauptaspekt von dem, was wir erreichen wollen. Aber es ist eine gute Begleiterscheinung, etwas von hier in andere Welten tragen zu können. Man stellt auf der ganzen Welt so viele Fragen, die auch im Kalevala enthalten sind – ich denke, wir sollten langsam mal ein wenig Bezahlung dafür bekommen (*lacht*). Uns hat aber immer noch keine nationale Gesellschaft dafür belohnt, dass wir die größten Kalevala-Exporteure Finnlands sind. Nur für Grammys kriegst du Kohle!
Darum sind die Finnen so kreativ
Auf eurer Website steht, dass deine größte Inspirationsquelle die Jahreszeiten sind. Welche hat „Skyforger“ beeinflusst?
Ich glaube, es waren der Frühling und der Winter. Eigentlich spielt es keine Rolle, welche Jahreszeit kommt – wenn ich bemerke, dass sich draußen etwas verändert, bekomme ich immer ein gutes Gefühl dabei. Jetzt ist gerade Frühling, aber man spürt schon, dass der Sommer bevorsteht, das ist großartig. Das gleiche Gefühl habe ich, wenn der Sommer vorbei ist und man draußen kältere Luft einatmet. Die Bäume lassen ihre Blätter fallen und dir wird klar, dass es Herbst ist und danach der Winter kommt. Das sind Gefühle, die mich wirklich sehr inspirieren.
Was ist dein persönlicher Antrieb beim Musikmachen? Nutzt die es als Filter für deine eigenen Gefühle oder willst du eher etwas verändern in der Welt?
Ich denke, ich mache aus dem Grund Musik, aus dem ich auch Musik höre: um vor der realen Welt zu fliehen. Musik ist eine großartige Möglichkeit, den ganzen Problemen und dem ganzen Scheiß da draußen zu entkommen. Oder einfach nur, um gute Gefühle zu bekommen. Ich versuche dann immer, mich in das gleiche Gefühl hineinzuversetzen, wenn ich Musik mache. Ich schotte mich dann normalerweise von allem anderen ab und versuche kreativ zu sein. Für gewöhnlich fängt es mit ein paar Melodielinien an und über diese baue ich dann den ganzen Song auf. Wenn ich mit einer Melodie nicht weiterkomme, mache ich einfach mit einer anderen Idee weiter. Das Wichtige ist aber, dass man sich zurückzieht und sich konzentriert. Einige Songs gehen dann ganz natürlich von der Hand, bei anderen kommt man nicht weiter und muss dann eben erst mal mit etwas anderem weitermachen. Auf meinem Rechner habe ich jede Menge unfertige Musik liegen, an der ich vielleicht irgendwann mal weiterarbeiten werde.
Aus deinem Land kommen so viele gute Bands – warum bringt Finnland aus deiner Sicht so viel hochqualitative Musik hervor? Zumindest im Verhältnis zur Einwohnerzahl.
Ich denke, das liegt einfach daran, dass jeder sein eigenes Ding machen und etwas Eigenes in seine Musik stecken will. Niemand möchte den Style einer anderen Band kopieren. Finnen probieren gerne viele verrückte Ideen in ihrer Musik aus. Schau doch nur mal, was Eläkelaiset gemacht haben, oder die Finntroll-Jungs mit ihrer Humppa-Musik. Das hat einfach etwas mit der finnischen Mentalität zu tun, denn die Finnen sind alle ziemlich crazy und probieren viele unterschiedliche Dinge aus. Das ist super, denn als einzigartige Band stichst du immer aus der Masse raus. Dadurch haben viele Metal-Bands auch außerhalb Finnlands Aufmerksamkeit bekommen, was wiederum mehr und mehr junge Leute ermutigt hat, eigene Bands zu gründen. Ich glaube, dass bei uns Gitarrespielen das Eishockey als Kinder-Hobby ersetzt hat. Alle Eltern kaufen jetzt Gitarren, damit ihre Kids spielen und eine Band gründen können. Scheint mir sinnvoller zu sein, als einer dieser Eishockey-Typen zu werden.
Das sagt Esa Holopainen im Interview zum Namen Amorphis
Hat die musikalische Kreativität auch etwas mit dem finnischen Klima, der Landschaft, dem Wetter oder Dunkelheit zu tun? Einige finnische Musiker haben mir gesagt, dass es im Winter immer dunkel ist und man einfach drinnen bleiben und Gitarre spielen muss, weil es sonst nichts zu tun gibt.
Das ist definitiv wahr. Die permanente Dunkelheit macht etwas mit deiner Mentalität. Es gibt Orte in Finnland mit nur ganz wenigen Einwohnern – dort kannst du einfach nichts machen außer mit denen Freunden, so du welche hast, eine Band zu gründen und zu spielen. Ich glaube, die Sentenced-Jungs kamen aus der Nähe von Oulu und das einzige, was du dort machen konntest, war Gitarre spielen und Bier trinken.
Alternativ kann man auch einfach nur Bier trinken.
Yeah, von solchen Leuten gibt es auch einige (*lacht*).
Hast du persönlich eine besondere Verbindung zur Natur, die ja gerade in Finnland außergewöhnlich schön ist?
Ja, sie ist mir sehr wichtig. Ich muss in unterschiedlichen Elementen leben können: Ich liebe die See und das Wasser – jeden Sommer miete ich mir ein Boot und fahre auf die See hinaus um zu entspannen, Das Gleiche gilt für den Wald und die Natur: Ich liebe es, aufs Land zu fahren und mir eine kleine Auszeit zu nehmen. Ich habe auch wieder mit dem traditionellen Skifahren angefangen: Dann schnappe ich mir einfach meine Ski und gehe damit in den verschneiten Wald, das ist großartig. Ich lebe in Helsinki, aber es gibt hier in der Nähe einen Nationalpark, der einfach nur aus einem gigantischen Wald besteht.
Inwieweit ist Amorphis im Jahr 2009 immer noch eine perfekte Beschreibung für eure Band?
Musikalisch sind wir glaube ich etwas stabiler – es gibt nicht mehr so viele Veränderungen wie früher. Der Bandname repräsentiert uns aber immer noch sehr gut: Es wird immer wieder die ein oder andere Evolution in unserer Musik geben. Ich bin froh, dass wir Amorphis heißen und nicht Anal Cunt (*lacht*). Denn als wir uns für den Namen entschieden haben, hätte es einfach alles sein können.
Sagt er auch etwas über euren Anspruch an eure Musik aus? Dass ihr euch als Künstler immer wieder neu herausfordern möchtet?
Yes. Du brauchst für dich selbst neue Challenges als Künstler, denn das hält die Motivation hoch. Musik ist für mich ein endloses Suchen. Du bist immer auf der Suche nach besonderen Dingen, perfekten Melodien. Man muss immer versuchen, seine eigene Musik weiterzuentwickeln – das ist unser Hauptziel. In kleinen Schritten immer ein bisschen weiter.
Eine dieser perfekten Melodien habt ihr in „Silver Bride“ ja auf jeden Fall gefunden. Danke für das nette Gespräch, Esa!
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Phoner
Ben Foitzik 2013