#001 Type O Negative: der große Peter Steele im Interview

Februar 2007: Surreale Szenerie an einem freundlichen Frühlingstag am Potsdamer Platz in Berlin. Tausende Menschen haben sich hier anlässlich einer ver.di-Demonstration versammelt. Was vermutlich keiner weiß (und was vermutlich niemanden schert): Über ihnen, im fünften Stock des Ritz Carlton Hotels, thront der 2-Meter-Meister der Schwermut, Seine Urgewalt Peter Steele. Der Type O Negative Frontmann hat zusammen mit Drummer Johnny Kelly zum Interview in seine Suite geladen. 30 Minuten Quality Time mit einem Jugendidol, in denen der Stahl-Schrank diverse Gläser Rotwein stürzt (es ist Mittag), seinen Trommler kaum zu Wort kommen lässt und erfreulich eloquent über seine Band, das Album „Dead Again“ und das Leben im Allgemeinen parliert. Pete Steele: ein wahrlich großer Mann. May he rest in peace.

„Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Type O Negative?
Type O Negative ist für die Ewigkeit. Liebe nicht, Liebe ist wie Herpes.“
Peter Steele
2007
„Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Type O Negative?
Type O Negative ist für die Ewigkeit. Liebe nicht, Liebe ist wie Herpes.“
Peter Steele
2007

Type O Negative: Interview mit Peter Steele

Hi Jungs, wie sieht’s aus, habt ihr schon die Schnauze voll von Interviews?
Pete: So ist es.
Johnny: Bei mir geht’s eigentlich, ich habe eine viel höhere Toleranzschwelle als Peter.

Würde es euch irgendetwas bedeuten, wenn ich euch sagte, dass ich euer neues Album wirklich großartig finde?
Pete: Du lügst doch.
Johnny: Wir schätzen deine ehrliche Meinung – wie auch immer sie sein mag.

Tangiert es euch denn gar nicht, was die Leute, besonders die Presse, von eurer Musik halten, oder seid ihr demgegenüber gleichgültig geworden in den letzten Jahren?
Pete: Also wenn ich Musik schreibe, ist es mir natürlich lieber, wenn sie die Leute mögen. Aber wie Johnny sagt, wir bevorzugen eine ehrliche Meinung. Es ist mir echt lieber, wenn mir einer sagt „Das neue Album ist scheiße, blabla“, als wenn mich einer anlügt. Letzten Endes ist aber nur wichtig, was die Fans denken – sie sind die, die unsere Rechnungen zahlen.
Johnny: Für mich ist es wichtig, dass ich glücklich bin mit dem, was ich tue. Das Wichtigste ist für mich, dass wir unser Möglichstes in eine Platte hineingesteckt haben. (*Pete stöhnt gelangweilt*) Es ist mir eigentlich nicht so wichtig, ob es ein Erfolg oder von den Kritikern gemocht wird oder so was. Es muss nicht immer unser bestes Album sein, solange wir hart daran gearbeitet und nicht nur schnell was zusammengezimmert haben. So etwas würde mich enttäuschen.

Gab es denn jemals ein Album, bei dem ihr nach Fertigstellung dachtet, dass es nur 80 Prozent eures Könnens beinhaltet?
Johnny: Ich habe bis jetzt bei jedem unserer Alben gefühlt, dass es etwas an sich hat, das es besonders und wichtig in unserer Diskografie macht.
Pete: Ich hatte immer das Gefühl, dass ich aufgrund persönlicher Probleme daran gehindert wurde, mehr an „World Coming Down“ teilzuhaben. Ich war damals zu sehr in mich selbst und andere Dinge vertieft und habe im Prinzip das ganze Projekt an Josh übertragen. Ich denke, dass er einen großartigen Job gemacht hat, aber etwas, was ich wirklich daran mag, wenn man in einer Band ist und Alben schreibt, ist, in den Boxen zu hören, was ich vorher in meinem Schädel gehört habe. Das ist nicht die Stimme Gottes, aber ich eine grobe Idee davon, was ich hören möchte. Damals war ich zu selbstsüchtig, habe Frauen nachgestellt, Kokain durchgezogen, gesoffen und bin nicht wirklich meiner Verantwortung gerecht geworden. Ich kann mich nicht darüber beklagen, wie das Album geworden ist – es war meine Entscheidung, nicht wirklich dabei zu sein. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich das Album aber noch einmal remixen. Andererseits gibt es bei jedem Album etwas, was man im Nachhinein verbessern könnte, gerade als Songwriter würde ich gerne so einiges noch einmal verändern. Wenn ich könnte, würde ich also jedes unserer Alben remixen – besonders aber „Word Coming Down“.

Wie schwierig ist es, diese Stimme in deinem Schädel auf ein Album zu bannen? Ist das überhaupt möglich?
Pete: Das ist gar nicht so schwierig – wenn man lernt „Fuck you!“ zu anderen zu sagen. Nach dem Motto „Es wird so gemacht, wie ich das sage!“ Manchmal gehe ich natürlich mit der Band Kompromisse ein, weil ich den Schreibprozess zusammenhalten will. Letzten Endes sind es aber meine Songs – ich will jetzt nicht wie ein Kontrollfreak klingen, der ich vermutlich schon irgendwie bin, aber ich fühle mich gut dabei sagen zu können, dass ich das letzte Wort in Bezug darauf habe, wie ein Song klingen soll. Wenn ich mit einer Perle zusammen bin und sie nicht bei angeschaltetem, ich aber nicht bei ausgeschaltetem Licht schlafen kann, weißt du, was ich dann mache? Ich sage „Fick dich, Schlampe, ich schlafe auf der Couch!“ Das ist meine Lösung.

Type O Negative im Interview: Musik als (Selbst)therapie

Ist euer Antrieb, Musik zu machen, heute ein anderer als noch vor 15 Jahren?
Johnny: Nein, es ist immer noch der gleiche.

Und der wäre?
Pete: Armut.
Johnny: Für mich nicht. Ich könnte alles machen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Pete: Sucky-fucky?
Johnny: Klar, ich könnte eine männliche Prostituierte sein.
Pete: Und ich könnte eine weibliche Prostituierte sein.

Ist Musik eher Selbsttherapie für dich oder geht es dir darum, etwas zu kommunizieren?
Pete: Musik ist tatsächlich sehr therapeutisch für mich. Wenn die Band mit dem Proben anfängt, werde ich sehr depressiv, weil ich drei oder vier Tage in der Woche mit meinen Freunden abhänge und mir den Arsch über alles abschreie, was mir auf den Sack geht. Man könnte das Urschreitherapie nennen. Das hilft mir aber sehr: Für dieses Album musste ich endlich mal wieder aus dem Haus gehen, und das Arbeiten mit den Jungs hat sehr viel mehr Spaß gemacht als bei den vergangenen Alben, weil wir zum ersten Mal seit 14 Jahren mit Live-Drums gearbeitet haben. Der Ansatz des Songwriting-Prozesses ist also irgendwie anders: Ich habe der Band ein Riff mitgebracht oder war einfach nur breit und habe irgendwas rausgehauen. Am nächsten Tag habe ich dann immer gesagt „Mensch, Johnny, wir haben gestern was wirklich Gutes gespielt, wie zur Hölle ging das noch mal?“ Und er meinte dann nur „Ging das etwa so: lumlumlumlumlumlum….?“ Und ich „Ja, das war’s, ich erinnere mich!“ Die Band war also viel interaktiver dieses Mal, sogar beim Aufnehmen des Albums: Anstatt dass wie immer nur Johnny und Josh das Programmieren der Drums übernommen haben, haben wir Bass, Gitarre, Drums und Keyboard live eingespielt. Es gab also eine sehr physische Interaktion, und das kann man einfach nicht bezahlen. Dadurch gibt es ein menschliches Gefühl bei dem Ganzen.
Johnny: Genau, ein menschliches Element.
Pete: Und das habe ich in den letzten 14 Jahren vermisst, ohne zu wissen, was es genau war. Jetzt könnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass wir wieder anfangen, unsere Drums zu programmieren. Das nächste Album soll genau so produziert werden wie dieses jetzt.

Wenn man so aus dem Fenster guckt und dann auch noch den Klima-Report in Betracht zieht…
Pete: Das Ende ist nicht nah, es ist da.

…muss man sich die Frage stellen, ob die Welt schon am Abgrund steht, wie ihr es 1999 auf „World Coming Down“ proklamiert habt. Gibt es keinen Weg zurück?
Pete: Diese Frage könnte ich sechs Stunden lang diskutieren. Ich sage nur so viel: Der Mensch hat die Wahl, ob er seine Welt in den Abgrund stürzt. Deswegen hat auch unser neues Album einen biblisch-apokalyptischen Unterton. Wenn sich die Menschen nicht zusammenraufen und einander so behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten, wird Schlimmes geschehen. Frag mich nicht, warum, aber ich weiß es.

Woher kommen diese biblischen Elemente in deinen Texten?
Pete: Aus der Bibel.

Touché! Aber was hast du mit der Bibel zu tun?
Pete: In den letzten Jahren habe ich viel von meinem Glauben zurückgewonnen. Ich wurde römisch-katholisch geboren und hatte lange Zeit den Weg verloren. Ich versuche nicht, die Menschen zu bekehren, aber es behagt mir zu wissen, dass Adolf Hitler nicht an den gleichen Ort wie Mutter Theresa kommt. Ich glaube daran, dass die Leute für das gerade stehen müssen, was sie im Leben getan haben – du musst dich also für diese Welt oder die nächste entscheiden.

Das ist also nicht sarkastisch gemeint?
Pete: Nein, absolut nicht. Das ist völlig ernst gemeint und kommt tief aus meinem Herzen.

Peter Steele und Rasputin – Brüder im Geiste?

Vor kurzem habe ich mit dem Sänger der deutschen Band Deine Lakaien geredet – ich vermute, den kennst du nicht?
Pete: Nein, natürlich nicht.

Jedenfalls hat er behauptet, dass die Leute, die Gefühle wie Melancholie nicht an sich heranlassen, arme Menschen sind, weil sie nicht die komplette Bandbreite aller verfügbaren Gefühlsregungen erfahren.
Pete: Da muss ich ihm zustimmen. Ich bin sehr emotional – frag Johnny: von ganz unten nach ganz oben in fünf Minuten. Ich habe mich lange nicht mehr suizidal gefühlt, aber vorigen Monat hatte ich wieder eine Rasierklinge in der Hand und wollte mir mal wieder die Pulsadern aufschneiden, weil ich das Gefühl hatte, aus keinem beschissenen Grund zu leben. Ich meine, ich habe hier ja schon die Narben (*zeigt sein Handgelenk*), dann aber habe ich gedacht „Nein, ich mache es doch nicht“. Das Leben ist sowohl Geschenk als auch Fluch, deswegen sind Lachen und ein Sinn für Humor neben dem Glauben das Allerwichtigste. Es ist sogar besser als Sex. Und jedes Mal, wenn ich meinen Schwanz angucke, muss ich mich schlapplachen – ich bekomme also beides gleichzeitig.

Apropos Selbstmord: In „Halloween in Heaven“ sprichst du von „Suicide Losers“ – sind sie deswegen Loser, weil sie Selbstmord begehen?
Pete: Das sind sie, weil sie den Himmel verloren haben. Ich selbst habe das mit dem Selbstmord ja ein paar Mal versucht, bin aber ganz froh, dass es mir nicht gelungen ist. Nicht wegen des Verlusts des Himmels, sondern weil ich es einfach liebe, die Menschen zu irritieren – daher ist es besser am Leben zu sein.

„Dead Again“ ist euer erstes Album auf SPV – hat das in irgendeiner Weise den Sound des Albums beeinflusst oder klänge es auf Roadrunner genau so?
Johnny: Das Album klänge ganz genau so, weil wir uns schon immer jegliche kreative Kontrolle bewahrt haben. Niemand außer uns selbst hat je eins unserer Alben beeinflusst. Wir haben Glück, dass SPV das Album, das wir ihnen gegeben haben, sehr unterstützt haben und davon begeistert ist. Aber wäre es jetzt bei Warner, der EMI oder wo auch immer erschienen, das hätte keinen Einfluss auf seinen Inhalt gehabt. Der Business-Aspekt tangiert nicht den kreativen Aspekt einer Platte.

Welche Verbindung habt ihr zu Gregori Rasputin, der das Cover von „Dead Again“ ziert?
Pete: Ich persönlich habe viel mit ihm gemein: Er war orthodoxer Christ, Alkoholiker, Drogenabhängiger, Schürzenjäger, das Gerücht geht, dass er einen riesigen Schwanz hatte – das passt doch. Als die Bolschewisten 1917 an die Macht kamen, versuchten sie ihn zu ermorden – und scheiterten viermal, er war also mehrmals „Dead again“. Außerdem sieht er aus wie ein Type-O-Negative-Bandmitglied.

Sagt man ihm nicht nach, ein falscher Prophet gewesen zu sein?
Pete: Nein, er war kein falscher Prophet, er war ein Prophet. Er sagte den Romanows, sie sollten nicht in den Ersten Weltkrieg ziehen – sie haben es trotzdem getan und massive Verluste erlitten. Er war kein falscher Prophet.

„September Sun“ ist für mich einer der besten Tracks auf dem Album. Würdet ihr mir zustimmen, dass die Nummer auch perfekt auf „October Rust“ gepasst hätte? Zumal „October Rust“ ja sogar im Text erwähnt wird.
Pete: Weißt du, Johnny hat vorher erwähnt, dass wahrscheinlich alle Songs von „Dead Again“ auch gut auf andere Type-O-Negative-Alben gepasst hätten. Insofern glaube ich, dass du da einen guten Punkt ansprichst, weil das eben ein Gesicht von Type O Negative ist. Ironischerweise ist das eigentlich der Song, den ich am wenigsten mag.
Johnny: Stimmt, den wollte er eigentlich gar nicht auf dem Album haben.
Pete: Ich habe den Jungs sogar noch beim Sequencing gesagt „Bei dem bin ich mir nicht sicher, der klingt schwach“, und jetzt wird die erste Single „Profits of Doom“ und die zweite dann „September Sun“ sein. Einmal mehr lag meine Vorstellung davon, was funktioniert und was nicht, meilenweit von der Realität entfernt.

Das Martyrium von Type O Negative

Euer 1996er Album hieß „October Rust“, nun singt ihr von der „September Sun“ – welche Beziehung habt ihr zum Herbst?
Pete: Ich habe den Herbst immer geliebt. Dann zeigen die Bäume ihre wahre Farbe, denn im Frühling und Sommer gibt es einen Überfluss an Chlorophyll und das Zytoplasma der Pflanzenzellen (*Johnny bricht in schallendes Gelächter aus*) gedeiht aufgrund der Photosynthese. (*Johnny bricht zusammen*)
Johnny: Scheiße, ich bin im Biologieunterricht!
Peter: Erst wenn die Bäume und Pflanzen nicht mehr Photosynthese betreiben können, wird kein Chlorophyll mehr produziert und die Blätter zeigen – ohne das Chlorophyll, das grün ist – ihre wahren Farben. „Chloros“ heißt „grün“ auf Griechisch.

Aber Grün ist doch auch die Farbe von Type O Negative…
Pete: Und die Farbe meiner Zähne, ich weiß.
Johnny: Wow, wow! Das ging wirklich tief! Danke, Herr Lehrer, hier sind meine Hausaufgaben.
Pete: Du kriegst ’ne 1, ganz klar!

Im Song „Some Stupid Tomorrow“ geht ihr hart wie lange nicht mehr zu Werke. Im Alter wird man also nicht unbedingt gemächlicher?
Peter: Ich glaube, ich bin gerade in der Midlife Crisis – ich bin jetzt 45, und es macht einfach viel mehr Spaß, schnelle Sachen zu spielen. Ich brauche einfach in jedem Song Tonart-, Rhythmus- und Instrumentwechsel, denn ich leide an ADS und brauche permanent Weckrufe.

Und…
Peter: Hält dieser Typ auch irgendwann mal seine Fresse?
Maria (Promoterin): Er hat nur noch fünf Minuten…
Johnny: Äh, ich glaube, Peter meinte den Typen da draußen von der Demo.
Maria: Oh, ach so. Sorry, Ben.

Danke. Wie lange werdet ihr Type O Negative noch machen? Gibt es ein oberes Limit?
Peter: Kein Ende in Sicht. Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Type O Negative?

Kommt drauf an…
Peter: Type O Negative hält eine Ewigkeit. Liebe nicht, Liebe ist wie Herpes.

Geht es um diese Thema auch bei „She Burned Me Down“?
Peter: Es gibt viele textliche Sachen, die ich nicht erklären kann – manchmal konzentriert sich die Presse zu sehr darauf. Schon wieder sind wir bei Metaphern angelangt: Es gibt auf dieser Welt zwei Dinge, die die Presse niemals ergründen sollte. Das eine ist, wie Würstchen gemacht werden. Das andere, wie ein Type-O-Negative-Song entsteht. Beides ist einfach widerlich.

Um noch mal auf die Farben zurückzukommen: Grün ist neben Schwarz eine der typischen Type-O-Negative-Farben – symbolisieren sie eure Zerrissenheit zwischen Hoffnung und Resignation?
Peter: Beim Namen Type O Negative denken 99 Prozent der Leute wohl zuerst an Schwarz und Rot oder Weiß und Rot – Grün ist das Gegenteil von Rot, der Name sagt also metaphorisch und chromatisch, dass man immer das Unerwartete von uns erwarten sollte. Für mich ist Grün sehr beruhigend, Farben haben eine sehr große Wirkung auf mich. Einige Leute halten Schwarz vielleicht für die Farbe des Todes, für mich ist es aber auch die Farbe für Mysterium.

Zumal der Tod ja das ultimative Mysterium darstellt.
Peter: Um genau zu sein, ist das ultimative Martyrium, wie wir 17 Jahre zusammenbleiben konnten. Habe ich Martyrium gesagt? Ich meinte natürlich Mysterium.

Danke für das Gespräch, Type O Negative!

Type O Negative Interview:
Ben Foitzik
Datum:
8. Februar 2007
Ort:
Ritz Carlton, Berlin
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2007

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