#002 Mads Mikkelsen im Interview zum Wikinger-Epos „Walhalla Rising“

Juli 2010: Harter Tobak: Im verstörenden Wikinger-Abenteuer „Walhalla Rising“ spielt Dänemarks Schaupiel-Meister Mads Mikkelsen einen einäugigen stummen Nordmann, der sich mit stoischer Grausamkeit durch die unwirtlichen skandinavischen Highlands kämpft, um… ja, um was eigentlich? Mads Mikkelsen sagt im Interview, dass seine Figur das selbst nicht ganz genau weiß. Ben hatte im Juli 2010 das Glück, einen seiner Lieblingsschauspieler zu dessen Rolle im Film von Nicholas Winding Refn am Telefon sprechen zu dürfen. Mikkelsens erste Worte haben sich dabei für immer in die Erinnerung eingebrannt: „Sorry für die Verspätung, ich musste gerade mal pinkeln.“ Also doch: Auch Mads Mikkelsen ist nur ein Mensch – obwohl er doch als Schauspieler schon jetzt in den Olymp eingezogen ist. Und das weiß Gott nicht aufgrund seiner Rolle in „Kampf der Titanen“.

„Bei Walhalla Rising hatten wir keine Green Screens, das war purer Rock'n'Roll.“
MADS MIKKELSEN
2010
„Bei Walhalla Rising hatten wir keine Green Screens, das war purer Rock'n'Roll.“
MADS MIKKELSEN
2010

Mads Mikkelsen: Interview zu „Walhalla Rising“

Hallo Mads! Ich habe mir gestern Abend „Walhalla Rising“ angesehen und muss gestehen, dass ich ihn fast noch verstörender als Lars von Triers „Antichrist“ fand…
(lacht) Yeah, das ist tatsächlich ein verstörender Film, der nicht nach gängigen Regeln funktioniert.

Wie ordnest du den Film in deine farbenfrohe Filmografie ein? Würdest du sagen, dass „Walhalla Rising“ vielleicht der schrägste Film ist, in dem du je mitgespielt hast?
Stimmt, der ist schon ziemlich schräg. Aber schräg ist okay für mich, ich mag schräg! Seit 20 oder 30 Jahren basieren ja fast alle Filme auf Geschichten, die wie ein Buch funktionieren: Anfang, Mittelteil, Ende. Aber Film kann natürlich sehr viel mehr als das, insofern gehen wir mit „Walhalla Rising“ irgendwie auch zu den Anfängen des Films zu zurück, als das Bild selbst noch eine Geschichte erzählt hat.

Fast jeder Film, in dem du mitspielst, hat dieses gewisse Etwas, das ihn von anderen Filmen unterscheidet. Ist es für dein Selbstverständnis als Schauspieler wichtig, dass du im Idealfall immer etwas machst, was du vorher noch nicht gemacht hast?
Nein, ich bin nicht Schauspieler geworden, um unbedingt schräge und möglichst unterschiedliche Filme zu machen. Ich sage bei Projekten zu, die mir gefallen und die mich persönlich interessieren. Das habe ich schon mein ganzes Leben lang so gemacht – wenn ich nicht verstehe, was ein Drehbuch von mir will, dann mache ich den Film auch nicht. Aber bei „Walhalla Rising“ habe ich es verstanden, und ich denke, dass wir den Film auf die richtige Weise umgesetzt haben.

Mich hat er an einen meiner All-time-Faves erinnert, „Apocalypse Now!“. Siehst du eine Verbindung zur Reise ins „Herz der Finsternis“?
Ja, definitiv. Das ist auch einer meiner Favoriten. Wir sind zwar nicht auf der gleichen Mission, da „Herz der Finsternis“ oder „Apocalypse Now!“ eine direktere Geschichte erzählen, auch wenn sie an einigen Stellen ziemlich durchdrehen. Die Mittel und die Energie allerdings sind manchmal ähnlich – man wird ja immer von den Dingen inspiriert, die man liebt. Wir haben nicht versucht, ein Remake von „Apocalypse Now“ zu machen, doch wir wollten natürlich eine ähnliche Energie transportieren.

Mads Mikkelsen im Interview: über Mythologie

Der Film handelt von nordischer Mythologie, aber auch von Christianisierung und Kreuzzügen – welche Position bezieht er zur Religion?
Er sagt etwas über Religion im Allgemeinen aus: Es geht um einen Stummen, der versucht, nach Hause zu kommen. Weil er aber nichts sagt, beginnen die Leute, ihn zu interpretieren. Einige denken, er sei Gott, andere denken, er sei der Teufel. Für mich ist das eine starke Analogie zur Religion: Religion ist von Menschen gemacht. Und Gott ist Gott. Die Menschen brauchen aber etwas, an das sie glauben können, also erfinden sie einen Gott – der in diesem Fall vielleicht einfach nur ein Sklave ist.

Hast du als Skandinavier eine stärkere Bindung zur nordischen Mythologie aus „Walhalla Rising“ als z. B. zur griechischen in „Kampf der Titanen“, in dem du auch mitgespielt hast?
Nein, eigentlich nicht. Klar, ich bin mit der nordischen Mythologie aufgewachsen, aber auch mit der griechischen, da ich mich schon als Kind sehr dafür interessiert habe – ich wusste also viel darüber. Für mich waren beide Filme interessant, da es viele Ähnlichkeiten zwischen den Mythologien gibt.

„Walhalla“ muss filmisch gesehen eine völlig andere Erfahrung gewesen sein als eine Green-Screen-Produktion wie „Kampf der Titanen“.
In vielen Bereichen war es das. „Kampf der Titanen“ war aber auch sehr hart für uns, weil wir auch dort extrem physisch arbeiten mussten – wir sind ständig in Sandalen an gottverlassenen Orten rumlaufen und haben uns in einer Tour verletzt. Aber es stimmt, bei „Walhalla Rising“ gab es keine Green Screens, das war viel mehr Rock’n’Roll.

Wie bist du überhaupt zu diesem Film gekommen?
Nicolas hat mich angerufen und gefragt: „Würdest du gerne einen Charakter spielen, der ein Auge, keine Stimme, keine Vergangenheit und keine Zukunft hat?“

Da sagt man natürlich sofort zu. Nicht einen Satz im ganzen Film zu sagen… war das einfach oder eher schwierig für dich?
Nach ein paar Tagen funktionierte es ganz gut. Nur am Anfang war es echt frustrierend, denn wenn du als Schauspieler zwei Werkzeuge hast, dann sind das Sprache und Emotionen. Leider ist der Einäugige aber stumm und emotionslos. Wir haben uns dann von der Vorstellung inspirieren lassen, dass er wie ein Gorilla im Zoo ist: Das ist eine sehr interessante Kreatur, aber du weißt nicht, wo er hingeht, wo er herkommt und was er denkt. Stattdessen hast du das Gefühl, dass er dich jederzeit einfach so töten könnte. Mit diesem Gedanken hat es dann ganz gut funktioniert.

Mads Mikkelsen über Hollywoodfilme

Du hast gesagt, dass er einfach nur nach Hause möchte. Aber weiß er überhaupt, wo zu Hause ist?
Nein, er hat keine Ahnung. Er weiß nicht, wohin er geht – er nimmt einfach nur einen Pfad, der ihn irgendwohin führt. Wie gesagt, die Menschen versuchen, aus ihm schlau zu werden, und einige benutzen ihn. Der kleine Junge, der mit ihm auf der Reise ist, beginnt zum Beispiel damit, die Leute zu überzeugen, dass er verstehen kann, was der Einäugige sagt. Was natürlich total lächerlich ist: Er kann es nicht, aber er nutzt es zu seinem eigenen Vorteil.

Was hältst du von der Ästhetik des Films? Er hat ein paar großartige Bilder und einen tollen Score – wie viel davon bekommt man während des Drehs überhaupt mit?
Es war essentiell wichtig für den Film, dass wir an einem Ort waren, der absolut menschenverlassen und unglaublich brutal ist. Uns war bewusst, dass die Natur selbst ein wichtiger Charakter im Film ist. Andererseits haben wir das auch verdrängt, als wir dort waren, weil wir es so sehr gehasst haben. Es war extrem schwierig und extrem brutal. Wenn du nach einem Drehtag nach Hause kamst, konntest du erst mal kaum schlafen, weil dir einfach alles an deinem Körper unglaublich weh tat.

Du bist einer der wenigen dänischen oder sogar europäischen Schauspieler, die es geschafft haben, in Hollywood Fuß zu fassen. „Walhalla Rising“ allerdings ist ein Film, der das komplette Gegenteil dessen verkörpert, wofür ein Hollywoodfilm steht…
Yeah!

… sprich: unterhaltsames Entertainment. Ist es wichtig für dich, immer mal wieder einen Schritt zurück zu machen, um diese interessanten, herausfordernden Filme drehen zu können?
Nein, ich mache das eigentlich nicht bewusst. Es ist nicht so, dass ich mir sage „Okay, ich habe einen von denen gemacht, also mache ich jetzt einen von den anderen“. Ich mache einfach die Dinge, die ich aus unterschiedlichen Gründen für interessant halte. „Walhalla Rising“ war total spannend für mich, da ich wieder mit Nicolas zusammengearbeitet habe, mit dem ich vorher schon dreimal gearbeitet hatte – wir haben damals gemeinsam in dem Business angefangen. „Kampf der Titanen“ habe ich aus einem anderen Grund gemacht: Ich fand den Regisseur sehr energetisch, und ausnahmsweise konnte ich mal einen Film machen, den auch meine Kinder sehen dürfen! Ich plane es also nicht, aber es ist schon wichtig für mich, dass ich immer mal wieder unterschiedliche Sachen mache – manchmal ist es etwas Großes, manchmal etwas Kleines. Wenn ich das weiter so machen könnte, wäre ich sehr happy.

Mads Mikkelsen über Regisseur Nicolas Winding Refn

Würdest du sagen, dass es ein Geheimnis deines Erfolges ist, dass du viele unterschiedliche Rollentypen spielen kannst? Nach dem Motto: „Wir brauchen einen witzigen Typen – lass uns Mads anrufen.“ Oder „Wir brauchen einen Action-Typen – lass uns Mads fragen!“ Oder „Wir brauchen einen Bösewicht – lass uns unbedingt Mads fragen!“
Ich hoffe, dass mich die Menschen so sehen, und ich habe bislang das Glück gehabt, dass es so ist. Ich denke, dass es da draußen noch mehr Schauspieler gibt, die das können, aber sie bekommen oft keine Chance dazu, weil es die Leute nicht in ihnen erkennen. Ich kann mich also glücklich schätzen, dass die Leute bislang das Gefühl hatten, dass ich jede meiner Rollen ernst nehme, egal was für eine Figur es ist. Das ist, glaube ich, eins der Geheimnisse, warum die Leute gerne mit mir arbeiten.

Du hast schon erwähnt, dass du bereits mit Nicolas zusammengearbeitet hast. Gibt es eine besondere Form von kreativer Magie zwischen euch oder warum funktioniert diese Kombination so gut?
Ich habe keine Ahnung, was es ist – manchmal reden wir in einer Tour, manchmal reden wir überhaupt nicht. Bei Nicolas ist es oft so, dass wir nicht unbedingt das machen, was er geschrieben hat. Und mein Job ist es oft, das zu übersetzen, was in seinem Kopf ist – und er lässt mich gewähren. Im Gegenzug lasse ich ihn dann mit Ideen ankommen, die einfach nur verdammt abgefahren sind. Ich denke, bislang hatten wir eine wunderbare Zusammenarbeit und hoffentlich wird das auch so weitergehen.

Die letzte Frage bezieht sich auf einige deiner älteren Filme. Und die stelle ich, weil zwei davon zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählen: Der eine ist „Flickering Lights“, der andere „Adams Äpfel“. Sind diese Filme auch für dich etwas Besonderes oder welche sind deine persönlichen Favoriten?
Beide haben eine besondere Bedeutung für mich. Der Regisseur Anders Thomas Jensen, der bei beiden auch das Drehbuch geschrieben hat, ist ein absolutes Genie in Bezug auf schwarze Komödie, meine persönliche Lieblingsform der Komödie und die einzige Form, die ich je machen würde. Zum Glück haben wir jemanden in Dänemark, der das perfekt beherrscht. Das war auch eine sehr fruchtbare und gesunde Arbeitsbeziehung, die wir in diesen Filmen hatten. Ich bin über beide sehr froh, aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, mochte ich den, den wir dazwischen gemacht haben, am liebsten: „Dänische Delikatessen“ ist von den dreien vermutlich mein Favorit – der ist sogar noch verrückter als die anderen beiden!

Danke für das nette Gespräch, Mads!

Mads Mikkelsen Interview:
Ben Foitzik
Datum:
Juli 2010
Ort:
Phoner
Copyright Bild:
Tiberius Film 2010

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