#003 Gitarrengott Tom Morello im Interview zu The Nightwatchman

Mai 2007: Tom Morello, Jugendidol und größtes Gitarren-Tier aller Zeiten, greift mit der heiligen Kralle zum Hörer und plauscht mit seinem ehrfürchtig lauschenden Jünger. Im Hintergrund zählt die Dame vom Management mit der Stoppuhr die Minuten runter und quäkt regelmäßig die verbliebene Restinterviewzeit dazwischen. Zudem fällt mitten im Gespräch eine Horde Typen in Morellos Bude ein („eine Sekunde noch, Jungs, ich mach gerade Interview mit Deutschland“) und Hund Beko dreht komplett am Rad. Entspanntes Interview geht irgendwie anders, aber so ist das nun mal bei Superstars – obwohl Sympathikus Morello partout nicht in diese Schublade passen will. Gewissenhaft antwortet Tom Morello im Interview auf alle Fragen zum Thema Nightwatchman, Rage Against The Machine und sogar Audioslave. Cooler Typ, dieser Typ!

„Den Menschen wurde über Jahrzehnte der Glaube ausgeprügelt, etwas verändern zu können.“
TOM MORELLO
2007
„Den Menschen wurde über Jahrzehnte der Glaube ausgeprügelt, etwas verändern zu können.“
TOM MORELLO
2007

Tom Morello: Interview zu The Nightwatchman

Dein Soloalbum als The Nightwatchman heißt “One Man Revolution” – wolltest du die Menschen damit daran erinnern, dass große Dinge oft von kleinen Leuten erreicht werden?
Zum Teil ist es das, aber es ist gleichzeitig auch eine Unabhängigkeitserklärung. Seit meiner Jugend bin ich immer Teil einer Rock-Band oder einer politischen Organisation gewesen – das ist jetzt das erste Mal, dass ich aus dem Kollektiv heraustrete und etwas ganz auf eigene Faust mache. Ich glaube an jede Note, jeden Text des Albums, weil es direkt von mir kommt. Es gibt also eine Reinheit in dieser „Ein-Mann-Revolution“, die ich sonst noch nirgends erfahren habe.

Es ist also kein Aufruf an die Menschen, ihre eigene Revolution zu starten?
Das ist sicher ein Thema, das in das Album eingewoben ist, es ist aber weniger ein Aufruf als eine Warnung. In dieser dunklen, verzweifelten Zeit, in der wir leben und die zum größten Teil die US-amerikanische Regierung zu verschulden hat, gibt es so viele Menschen hier in den Staaten und auf der ganzen Welt, die wirklich angekotzt sind und mit dem Weg, auf dem sich die Welt befindet, alles andere als glücklich sind: Von der Umwelt-Katastrophe zu militärischem Grauen, von der Erstschlag-Aggression und Folter zum Schmelzen der Polkappen und Eisberge – diese sieben Jahre George W. Bush haben die Welt auf den Pfad zum Fegefeuer gebracht. Mein Album ist eine Art Warnung davor, was passieren könnte, wenn die Menschen die Nase gestrichen voll haben und dagegen angehen, ihre Energien auf ihren Zorn bündeln und versuchen, einen anderen Präsidenten zu bekommen.

Wie konnte es so weit kommen? Sind die Menschen einfach zu lethargisch geworden?
Ich weiß nicht, ob es Lethargie ist. Ich glaube, den Menschen wurde über Jahrzehnte der Glaube ausgeprügelt, dass sie etwas bewegen, etwas verändern können. Besonders in meinem Land herrscht bei den Menschen oft das Gefühl, dass wir als Bürger nicht Teil der Geschichte sind: Geschichte ist etwas, das in der Vergangenheit passierte, das von Präsidenten, Kongressen, Päpsten, Generälen und Milliardären gemacht wurde. Aber so läuft es nicht. Ob es das Wahlrecht für Frauen, die Bürgerrechte für Menschen aller Hautfarben, der Fall der Berliner Mauer oder das Ende der Apartheid war – diese Dinge geschehen, weil Leute, deren Namen du nicht in Geschichtsbüchern liest, für ihre Recht einstanden, ob das auf der Arbeit, zu Hause oder in der Schule war. Daran zeigt sich, dass jeder von uns eine Ein-Mann-Revolution sein kann.

Mit Rage Against The Machine hast du deinem Weltfrust in einer aggressiven Musikform Ausdruck verliehen, wohingegen du beim Nightwatchman auf Singer/Songwriter-Style setzt um deine Ansichten zu verbreiten. Welche Form ist effektiver?
Das ist schwer zu sagen. An der Nightwatchman-Musik könnte man wohl kritisieren, dass ich damit zu den Bekehrten predige, offene Türen einrenne. Aber offen gesagt: Die Bekehrten brauchen einen Tritt in den Arsch. In diesen düsteren, hoffnungslosen Zeiten machen die Menschen mit Überzeugungen, Menschen, die an soziale Gerechtigkeit glauben, einfach zu wenig. Dies ist ein Album für sie – um ihnen Feuer unter dem Arsch zu machen (*lacht*).

Tom Morello über die Aufgabe von Musik

Hat Musik eine besondere Magie, Menschen für eine gemeinsame Sache zu mobilisieren?
Auf jeden Fall! Ein Buch oder ein Flugblatt liest man einmal, aber ein Song wird immer und immer wieder gesungen. Und wenn dieser Song inspirierend und subversiv sein kann, hat Musik und Kunst generell die Möglichkeit, eine sehr wichtige Rolle im Kampf für soziale Gerechtigkeit einzunehmen.

Hast du schon immer diese Verantwortung gespürt, als Musiker mit einer Plattform den Menschen deine Ansichten mitzuteilen?
Definitiv! Deswegen ist dieses Album auch so befriedigend. Weil es das erste ist, das ich ohne Band gemacht habe. Was man bekommt, wenn man in einer Band spielt, ist Chemie. Jeder taucht im Kollektiv unter und wenn die Band gut ist, entsteht etwas, das größer als die Summer ihrer Einzelteile ist. Was man bekommt, wenn man ein Solo-Album macht, ist Reinheit: Jede Note, jeder Akkord, jedes Wort kommt von mir. Wenn du es magst, gib mir die Schuld. Wenn du es nicht magst, gib mir die Schuld.

Würdest du sagen, dass es eine der Aufgaben von Rock-Musik ist, den Belangen der Unterpriviligierten eine Stimme zu geben? Die „Voice of the Voiceless“ zu sein?
Ich weiß nicht, ob das ihre Aufgabe ist, aber in den richtigen Händen kann es diese Rolle einnehmen. Die Musik, von der ich angezogen werde, ob das nun Woody Guthrie oder System of a Down sind, neigt dazu, zu Leuten zu sprechen, die auf den untersten Sprossen der Leiter stehen. Das ist die Musik, die mir immer als die wichtigste vorkam. Ich bin auch Fan anderer Musik-Genres, ich liebe ein paar hirnlose Arsch-Wackel-Hip-Hop-Sachen und habe meinen Kopf zu Hair-Metal aus den 80ern gebangt. Wenn es aber um Musik geht, die etwas bedeutet, Musik, die zeitlos ist, dann ist das eigentlich ausschließlich die Musik, die mit einer Absicht gemacht wurde, die das reine Geldverdienen für den Künstler überschreitet.

Ist Musik auch eine Form der Selbsttherapie für dich oder ist die Botschaft ihr wichtigster Aspekt?
Dieses Album aufzunehmen hatte sicher ein therapeutisches Element. Als ich anfing, diese Texte zu schreiben, kam viel aus dem Unterbewusstsein. Ich habe mich nicht hingesetzt und gesagt „Jetzt schreibe ich einen Song gegen George Bush“. Ob „California’s Dark“, „Until the End“ oder „Battle Hymns“ – das sind Songs, die mit meinen persönlichen Erfahrungen verwoben sind und bei denen ich mich dafür geöffnet habe, was aus dem Äther kam. So kannst du, glaub ich, zur Wahrheit in der Kunst gelangen: Indem du dich öffnest und nicht versuchst, die Musik oder die Texte durch vordefinierte Parameter zu beschränken.

Tom Morello im Interview: über L'art pour l'art

Apropos Musik und Kunst – muss Musik eigentlich immer eine Botschaft transportieren oder ist das Prinzip „Kunst um der Kunst willen“ legitim?
Moment, da klopf jemand an der Tür, ich muss die gerade mal reinlassen. He Jungs, was geht? Ihr müsst kurz warten, ich mache gerade Interviews mit Deutschland. Kommt rein! Was geht, Mann? Was geht, Mann? Sam, komm rein! Wollt ihr es hier machen? Baut euch doch hier auf. Ich bin gleich da. Komm her, Hund! (*Hund bellt*) Beko, komm her! (*Tom pfeift*) Beko, komm! (*Hund bellt*) Hier ist was los (*Hund bellt*), tut mir leid. Was war die Frage? Ach ja, ob bei Musik auch „Art for Art’s Sake” gilt. Ich glaube, dass Künstler eine und nur eine Verantwortung haben: in der Musik, die sie machen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Das bedeutet nicht, dass Avril Lavigne nicht vortäuschen sollte, politische Überzeugungen in ihrer Musik zu haben, um mich zu befriedigen (*lacht*). Dann gäbe es wirklich eine ganze Menge schlechter Musik. Wenn es die einzige Verantwortung der Menschen ist, ehrlich zu sich selbst zu sein, kann es Songs über Freundinnen und Autos oder Songs über den Umsturz der Regierung geben.

Wenn George W. Bush also wirklich denkt, dass er richtig handelt, dann ist das okay?
Nun, der denkt ja wirklich, dass er richtig handelt – für seine Wählerschaft, die aus Milliardären und Gesellschaftern besteht, handelt er in der Tat sehr gut.

Es gibt auf dem Album auch viele biblische Bezüge – was hältst du von dem Konzept Religion? Ist sie nicht eins der Kernprobleme unserer Zeit?
Ich wurde katholisch erzogen und ging jeden Sonntag in die Kirche, bis ich 13 oder 14 war. Als Kind versucht man natürlich nur, sich davor zu drücken, und wartet dann eine Stunde, bis man endlich wieder ein Kind sein darf. Später im Leben dann fand ich heraus, dass in einigen dieser biblischen Erzählungen eine gewisse Resonanz war. Ich habe, glaube ich, als Kind mehr aufgepasst, als ich dachte. Es gibt eine großartige narrative Tiefe in vielen dieser Geschichten. Dieser Teil war der unbewusste beim Schreiben von „One Man Revolution“: Ich war sehr überrascht, dass so viele biblische Andeutungen und Metaphern beim Songwriting-Prozess auftauchten, und ich musste mir eingestehen, dass das sicherlich etwas ist, das zu dem gehört, was ich bin und wie ich erzogen wurde.

Man hört, dass ein Grund für die Trennung von Audioslave Chris Cornells nicht-politischer Ansatz in der Musik war, der mit deinem nicht mehr übereinkam.
Ich weiß nicht, ob das einer der Gründe für die Trennung war. Wir haben ja immerhin drei Alben lang überlebt und fröhlich zusammen Musik gemacht, trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen. Ich bevorzuge es einfach, an Musik beteiligt zu sein, die meinen Standpunkt repräsentiert. Rage Against The Machine haben das getan und The Nightwatchman tut es mit Sicherheit auch. Obwohl ich sehr glücklich mit den Alben war, die wir mit Audioslave gemacht haben, ist es irgendwie eine Erleichterung für mich, einzig und allein mit Musik zu tun zu haben, bei der ich hinter jedem einzelnen Wort stehen kann.

Tom Morello Interview: über Rage Against The Machine

Apropos Rage Against The Machine – was gibt es Neues, werden sie wieder auferstehen?
(*Lacht*) Nun, wir haben gerade das Coachella-Festival in Kalifornien gespielt und hatten viel Spaß dabei. Wir haben noch vier oder fünf weitere Festivals in den Staaten im Sommer gebucht, so ist der Stand der Dinge im Moment. Darüber hinaus haben wir aber noch nichts geplant.

Wie bewertest du rückblickend die musikgeschichtliche Bedeutung von Rage Against The Machine?
Rage Against The Machine ist die einzige kompromisslose, unmissverständliche, radikal linksgerichtete Band, die je über 20 Millionen Alben verkauft hat. Daran gibt es keinen Zweifel (*lacht*), diese einzigartige Position wird von Rage Against The Machine eingenommen. Offensichtlich haben diese Songs auch nach dem Abgang der Band bei jungen Leuten etwas ausgelöst – und das ist einfach das, was gute Lieder über Rebellion und Revolution sollten: Sie werden von Generation zu Generation weitergetragen. Ich glaube, dass der Geist der Band im heutigen politischen Klima mehr als notwendig ist.

Auf dem Cover des Nightwatchman-Albums schulterst du deine Gitarre wie eine Waffe – ist sie deine Waffe?
Haha, definitiv! Künstler haben Waffen anderer Art und feuern mit anderen Kugeln. Meine Waffen sind drei Akkorde und die Wahrheit. Woody Guthrie sagte mal über seine Gitarre: „Diese Maschine tötet Faschisten.“ Und das war nicht scherzhaft gemeint. In meinem Song „Maximum Firepower“ habe ich diesen Satz auch zitiert, er ist wie ein Faden, der sich durch rebellische Musik zieht, und heute immer noch sehr lebendig und bereit, allen Übeltaten der Bush-Regierung entgegenzutreten.

In „Maximum Firepower“ sagst du auch „Wenn man einen Schritt Richtung Frieden macht, kommt er einem zwei Schritte entgegen“. Sind sich die Menschen vielleicht gar nicht bewusst, dass es eigentlich so einfach sein könnte?
(*Lacht*) Ja, das ist wahr. Ob das wahr für mich als Solokünstler, in einer persönlichen Beziehung oder für ein Volk als Ganzes ist – der erste Schritt ist, den Mut zu haben, aus der eigenen Box herauszutreten und zu erkennen, dass wir alle Agenzien der Geschichte sind. Du und ich, wir haben die Hände am Steuer unserer Zeit und bestimmen, in welche Richtung es geht. Wir können verzichten und jemand anders in die falsche Richtung steuern lassen, oder wir reißen ihnen das Steuer aus der Hand und schmeißen sie aus der Fahrertür, wenn sie keinen guten Job machen (*lacht*). Das ist ein Album darüber, ihnen das Steuer aus der Hand zu reißen und sie aus der Tür zu kicken.

Tom Morello Interview:
Ben Foitzik
Datum:
8. Mai 2007
Ort:
Phoner
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2008

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