#005 Jared Leto von Thirty Seconds To Mars im Interview

Mai 2007: Dass Frauenschwarm Jared Leto nicht nur eine coole Sau, sondern auch noch außerordentlich „important“ ist, hätte einem schon bei der Verkündung der Interview-Location klar sein müssen: Das Hamburger Side Hotel ist ein 5-Sterne-Design-Palast und damit wie geschaffen für einen extrovertierten Rockstar wie den Sänger von 30 Seconds To Mars, der 2014 durch seinen Oscar-Gewinn für „Dallas Buyers Club“ auch als Schauspieler den Olymp erklimmen wird. Bis auf das Angestelle mit dem „sonderbaren Film“ auf seinem Tee stellt Leto allerdings keine Starallüren zur Schau und erweist sich als souveräner Gesprächspartner, der manchmal allerdings so gar nicht auf die Fragen antwortet, die man ihm eigentlich gestellt hat. For the record: Herr Leto begrüßt einen nicht per Handschlag, sondern mit einem Faust-trifft-Faust-Checker-Gruß. Irgendwie cool. Und ansteckungsfrei.

„Mit Musik kannst du deine eigenen Dämonen exorzieren.“
Jared Leto
2007
„Mit Musik kannst du deine eigenen Dämonen exorzieren.“
Jared Leto
2007

Jared Leto: Interview über Thirty Seconds To Mars

*Zur Begrüßung stellt sich Jared kerzengerade auf, streckt die Arme aus und spannt wie ein Irrsinniger alle Muskeln seines Körpers an, bis er plötzlich, wie von Geisterhand, für einen kurzen Moment schwebt*

Hast du die Macht gespürt?

Und wie! Machst du das mit dem Schweben nachher auch auf der Bühne?
Nein, ich will ja nicht die Leute verschrecken.

Lass uns über 30 Seconds To Mars reden. Der Bandname bezieht sich auf technologischen Fortschritt – ist Technologie Fluch oder Segen für die Menschheit?
Technologie verändert sich, die Definition davon ändert sich ständig. Technologie kann ein Rad sein, Technologie kann aber auch Hirnchirurgie sein. Es hängt vom geistigen Klima, von der Gesellschaft, von der Kultur ab. Technologie ist aber immer ein Teil des Menschen. Fortschritt ist eine Droge für die Gesellschaft.

Gibt es einen Punkt, den man nicht überschreiten sollte?
Ich denke, der Fortschritt lässt sich unmöglich aufhalten.

Wenn das Rad einmal rollt…
… geht es immer weiter, genau.

Und wo wird uns das hinführen? Zum Mars?
Es wird dahin führen, dass sich die Menschen selbst zum Abbild Gottes machen. Meinst du nicht? Die Menschen werden versuchen, für immer zu leben. Sie werden versuchen, das Universum innerhalb und außerhalb ihres Körpers zu kontrollieren. Und letzten Endes werden sie die Möglichkeit erschaffen, eine komplette Welt nach unseren Vorstellungen zu definieren und synthetische Welten zu kreieren. Und wir werden Götter unseres eigenen Universums sein. Wir alle werden unser eigenes Königreich haben.

Glaubst du wirklich, dass es so weit kommen wird? Oder wird vielleicht alles schon vorher zusammenbrechen?
Nein, ich glaube, dass es dazu kommen wird, weil wir uns das bereits vorstellen. Und alles, was wir uns vorstellen, wird irgendwann einmal passieren. Grausam aber wahr. Ich meine, stell es dir nur einmal vor: Die verrücktesten Sachen, die du dir ausmalen kannst, werden irgendwann wahrscheinlich einmal Realität (*gähnt laut und ausgiebig*). Es gibt Leute da draußen, die Augäpfel anderer Menschen mit einem Löffel gegessen haben. Menschen haben das gemacht! (*inspiziert den Tee*) Was schwimmt denn da oben drauf? Da ist ein Film drauf! Sieht aus wie Öl, vielleicht ist das von der Reinigung, vielleicht Seife.

Jared Leto im Interview: über selbstbesessene Künstler

Ist der Name Thirty Seconds To Mars ein ähnliches Bild wie „5 vor 12“?
Auf eine Art vielleicht. Mars ist aber auch der Kriegsgott, insofern haftet dem Namen auch ein Gefühl von bevorstehender Katastrophe oder von Unmittelbarkeit an. Na ja, beides geht irgendwie Hand in Hand miteinander. Die Möglichkeit von beidem ist für mich ziemlich offensichtlich. Unsere Welt (*gähnt*) gibt uns davon eine ziemlich reale Vorstellung und 30 Seconds To Mars sind nur eine Reflektion davon.

Normalerweise würde ich eure Musik nicht unbedingt mit Krieg assoziieren, du etwa?
Nein, aber es bezieht sich auf Krieg als Metapher für einen wirklich persönlichen, einsamen, introspektiven Kampf. Es gibt einen Song auf unserem Album, der „The Battle Of One“ heißt und sich auf Ideen wie Freiheit und Kampf bezieht. Er enthält viel brutale Bildsprache, die eine Metapher für den inneren Kampf darstellen soll.

Wie stehst du zu den Dingen, die derzeit die Welt bedrohen – globale Erwärmung, überall Krieg etc.?
Es kommt darauf an – vielleicht werden wir mit Thirty Seconds To Mars bald sehr viel darüber zu sagen haben. Ich glaube aber, dass wir uns bislang mehr auf das Innere fokussiert haben, obwohl einige Songs durchaus soziale Einschätzungen enthalten. Ich glaube, je weiter wir uns nach vorne bewegen, desto mehr (*gähnt*) Möglichkeiten wird es geben, sowohl innere als auch äußere Dinge zu diskutieren und zu untersuchen.

Kann man das Äußere als Künstler überhaupt ausklammern?
Nicht, wenn du ein Künstler bist, der offen, aufmerksam und sensibel in Bezug auf die Probleme ist, die der Menschheit bevorstehen. Irgendjemand hat einmal gesagt, dass globale Erwärmung weniger ein politisches als ein menschliches Problem ist. Ich denke, es gibt eine soziale Verantwortung und eine ökologische Verantwortung, der sich die Individuen bewusst sind – insofern geben Künstler als Individuen eine kollektive Reaktion auf all die Probleme ab, die eine Gesellschaft bedrohen.

Es gibt also eine Verantwortung für Künstler, die eine Plattform haben, um ihre Gedanken zu verbreiten?
Nein, ich glaube nicht, dass es eine Verantwortung ist. Es ist eine Option. Künstler dürfen so selbst-besessen sein, wie sie wollen. Sie müssen sich nicht in irgendwelche politischen Kämpfe oder etwas Derartiges einklinken. Es gibt aber die Option, dies zu tun, und ich denke, dass es wichtig ist, dass man diese Option wahrnimmt, wenn man kann. Ich vermute, dass Künstler ein Filter für den Zustand des menschlichen Geistes sein können.

Künstler sind aber auch diejenigen, die die Kids beeinflussen können.
Ganz genau. Ich denke, dass wir einen Kampf aufgenommen haben – „The Battle Of One“ war der Arbeitstitel unseres Albums, und ich denke, dass er hervorragend dieses Konzept umschreibt. Dieses Mal haben wir beschlossen, uns auf den inneren Kampf zu konzentrieren. Ich denke, dass alles miteinander verbunden ist, das Innere und das Äußere.

Ist dieser innere Kampf mit eurem Bandmotto verbunden – provehito in altum, „spring in die Tiefe“?
Ja. In deinen Verstand, in dein Herz, in die Welt, in deine Ängste, in deine Träume – spring in die Tiefe von allem. Nimm die Angst aus der Gleichung und dann attackiere auf die brutalste, kehligste Weise wie möglich.

Die Dämonen des Jared Leto

Bist du auch deswegen Musiker geworden, um deine Gefühle zu verarbeiten?
Musik kann ein Ventil sein, eine wunderbare Art, deine eigenen Dämonen auszumerzen, sie zu exorzieren. Musik gibt dir die Möglichkeit dazu. Sie ist wie eine Urschrei-Therapie.

Und was sind deine Dämonen?
Das würde wirklich ein sehr langes Interview werden. Wir alle haben unsere Probleme, wir alle haben unsere Herausforderungen.

Es scheint, als wolltest du deine Profession als Schauspieler kategorisch von der des Musikers abschotten, stimmt das?
Ich wäre doch dämlich, das nicht zu tun! Warum sollte ich meine Musik mit meiner Vita als Schauspieler promoten? Das wäre genau so dämlich, als würde ich meine Filme mit meiner Musik bewerben. (*Verstellt seine Stimme*) „Und jetzt kommt Jared Leto von 30 Seconds To Mars in ‚Stirb langsam 5’!“ Wir wollen einfach nur so viel Würde wie möglich bewahren, und da wir mit unserer Musik etwas machen, was vorher noch nicht wirklich gut gemacht worden ist, müssen wir sicherstellen, dass wir dabei so vorsichtig wie möglich sind. Das ist der Ansatz, den wir gewählt haben. Wir konnten uns auf diesem Album öffnen, mehr sagen, weiter in das Licht gehen. Das, worauf wir stolz sind, mit anderen zu feiern und zu teilen, ist ebenfalls ein tolles Gefühl. Wir versuchen aber trotzdem, uns mit möglichst viel Erhabenheit weiter nach vorne zu bewegen.

Du hast also keine Angst davor, dass Leute sagen könnten ‚Oh nein, noch ein Schauspieler, der versucht zu singen’?
(*Gähnt*) Nein, weil es bei mir von Anfang an etwas völlig anderes gewesen ist. Das ist offensichtlich. Und inzwischen weiß das sowieso jeder. Zu Hause jedenfalls. Und in Europa merken die Leute langsam ‚okay, das ist der, bei dem es anders ist, die Ausnahme der Regel’. Und das ist auch gut so, denn es gibt viele andere Schlachten zu kämpfen. Das war die größte, die erste. Dann kam die Schlacht der Wahrnehmung – die war großartig, wir wussten, dass wir sie bestreiten mussten, und wir haben sie bestritten. Nun haben wir die meisten unserer Schlachten gewonnen, doch es gibt immer noch Bereiche, in denen wir kämpfen müssen. Im Moment ist die schwierigste Schlachte meiner Meinung nach der kreative Prozess.

Wenn du eine deiner Professionen aufgeben müsstest – welche wäre das?
Ich liebe beides. Ich mag es, Filme zu machen, da bin ich sehr stolz drauf. Ich neige ja dazu, in bizarren Independent-Filmen mitzuspielen. Da ich nicht oft Filme mache, kann ich mich aber gut auf die Musik konzentrieren. Ich habe aber vor keiner meiner beiden Professionen Geheimnisse und mache auch noch andere Dinge in meinem Leben. Und ich glaube nicht, dass ich irgendetwas aufgeben muss. Muss ich dieses Interview aufgeben, damit ich heute Abend eine Show spielen kann? Einige Leute würden das wohl, ich habe mich aber dazu entschlossen, hallo zu sagen und mit dir über unsere Band zu reden und das, was wir machen. Es ist auch nicht gut für meine Stimme, wenn ich hier sitze und die ganze Zeit mit dir rede.

Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.
Nein, nein, ich will ja nur damit sagen, dass sich einige sicher gesagt hätten ‚mein Job ist es, hierher zu kommen und heute Abend die Show zu spielen, nicht aber, mit irgendjemandem zu reden – wenn sie wissen wollen, was läuft, müssen sie zur Show kommen!’ Aber das ist okay für mich, ich bin froh, hier zu sein. Das war nur ein Beispiel dafür, dass einige sicher sagen würden ‚ich muss das nicht machen, weil ich mich auf das andere konzentrieren möchte’.

Schön und gut, aber wenn du keine Interviews gibst, wird irgendwann auch niemand mehr zu deinen Shows kommen.
Ich verstehe, was du meinst, da ist was Wahres dran. Musik ist eine öffentliche Form der Kunst, und du solltest sie mit der Gemeinschaft teilen. Wenn es etwas Privates wäre wie früher, hätten wir nie unser Studio, unsere Garage oder Hollywood verlassen. Wir wären geblieben und hätten für uns selbst Musik gemacht, so wie wir es für über eine Dekade gemacht haben. Insofern verstehe ich dein Argument, wir sind öffentlich. Das ist fast so, als wäre man ein Politiker, es gibt einen sozialen Austausch. Insofern macht es Sinn, das, was wir tun, mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Jared Leto Interview: Bonusfragen!

Ehrlich gesagt, weiß Ben gar nicht mehr, warum er Jared Leto am Ende des Interviews noch einige Bonusfragen zu Songs für bestimmte Momente gestellt hat. Aber: besser haben als brauchen, oder?! Zumal der letzte Satz wirklich zeitlos schön ist. Here we go…

Was wäre der letzte Song, den du dir vor einer Mission zum Mars anhören würdest?
Vielleicht „2112“ von Rush.

Und warum?
Hey, stellst du eine blöde Frage, bekommst du eine blöde Antwort!

Und welchen Song von unserer Welt würdest du den ersten Aliens vorspielen, die du auf dem Mars triffst?
Eine heitere Melodie von Mozart. Einen freundlichen, fröhlichen Song.

Weil das repräsentativ für die Menschheit ist?
Jedenfalls repräsentativ für das Beste, was das menschliche Gehirn hervorbringen kann, etwas, das etwas weiter geht als Rock’n’Roll. Man könnte natürlich auch Aphex Twin spielen und sie zum Teufel jagen – es kommt wohl darauf an. Vielleicht auch Wagner?

Welche fünf Songs würdest du auf ein Mixtape packen, um ein Mädchen zu gewinnen?
Da würde ich Damian Rice und irgendetwas von Journey draufpacken. Einen Song von Led Zeppelin, „Blackbird“ von den Beatles und Mazzy Stars „Fade into you“ (*singt „Fade into you“*).

Damit würdest du ihr Herz gewinnen?
Zumindest für eine Nacht!

Das reicht dir?
Vollkommen.

Welche Songs machen dich depressiv?
Viele, aber auf eine wunderbare Art. Joy Division – alles von ihnen! Einige Songs von The Cure, „Plainsong“ zum Beispiel. Ich möchte mal wieder The Cure hören, kann mir jemand deren Songs auf den iPod packen?

Und womit kommst du wieder aus deiner Depression heraus?
Weißt du, was ein wirklich aufbauender Song ist? „I’m free!“ von The Who (*pfeift*). „Today” von den Smashing Pumpkins, das ist ein guter, ein fröhlicher Song. Duran Duran mag ich auch, das kann dir gute Laune machen.

Hat Musik eine besondere Macht oder Magie?
Ich denke schon, Musik ist herrlich – du kannst in Länder gehen, wo sie nicht mal deine Sprache sprechen, und trotzdem singt jeder deine Lieder mit. Musik hat eine schwer zu beschreibende emotionale und psychologische Komponente, die Grenzen, Trennungen, persönliche Eigenarten, Kulturen und Klassensysteme überschreitet.

Jared Leto Interview:
Ben Foitzik
Datum:
27. Mai 2007
Ort:
Hyatt Hotel, Hamburg
Copyright Bild:
Ben Foitzik 2007

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